Traveler - das Finale
dem Sofatischchen abgestellt, ein japanisches Miniaturdorf auf Porzellan, um dessen Pagode sich strohgelbe Orchideen wanden.
Michael stand am Fenster und schaute zum neurokybernetischen Labor hinüber, einem weißen, fensterlosen Quader, der an ein riesiges, vom Himmel gefallenes Stück Würfelzucker erinnerte. Nun, da er ein Traveler war, brauchte er
keine Drogen oder Kabel in seinem Hirn mehr, um hinüberzuwechseln. Das Labor dennoch zu besuchen kam einem geschickten Schachzug gleich. Denn obwohl er kein Gefangener mehr war, hatte er sich mit seinem Eintritt in die Bruderschaft Feinde gemacht. Er würde irgendeine neue Technologie aus den Sphären mitbringen müssen, um seine Position zu verteidigen.
Die sechs Sphären waren Parallelwelten, nebeneinander existierende Realitäten. Die Zweite Sphäre, das Reich der hungrigen Geister, hatte Michael bereits besucht. Die Erste Sphäre glich einer Hölle, und Michael hegte nicht die Absicht, sich noch einmal dorthin zu begeben. Es gab die Dritte Sphäre, die von Tieren bevölkert wurde – kaum der richtige Ort, wollte man Kontakt zu einer höher entwickelten Zivilisation aufnehmen, die in der Lage war, einen Quantencomputer zu bauen. Michael war zu der Ansicht gelangt, dass der Absender der Nachricht entweder in der Sechsten Sphäre der Götter oder in der Fünften Sphäre der Halbgötter leben musste. Er hatte die Tagebücher früherer Traveler gelesen, aber keiner seiner Vorgänger hatte diese Welten detailliert beschrieben. Angeblich waren die Halbgötter ziemlich clever und dazu äußerst neidisch. Der Sitz der Götter war nur schwer zu finden – eine goldene Stadt.
Obwohl die Bruderschaft der Meinung war, ihn unter Kontrolle zu haben, verfolgte Michael seine eigenen Ziele. Ja, er musste sich Zugang zu technologischem Wissen verschaffen, aber eigentlich war er auf der Suche nach Antworten. Philosophie zu studieren, in die Kirche zu gehen und zu beten war reine Zeitverschwendung, wenn sich ihm die Gelegenheit bot, direkt mit einem höheren Wesen zu kommunizieren.
Besaßen die Götter Zauberkräfte? Konnten sie durch Wolken fliegen und Blitze mit der Hand schleudern? Vielleicht war die Welt der Menschen ein großer Ameisenhaufen, und die Götter amüsierten sich damit, ihn mit Feuerwerkskörpern
zu traktieren und seine Gänge zu fluten. Und alle paar hundert Jahre ließen sie einen Krümel Wissen in den Dreck fallen, um die Menschheit zum Weitermachen anzutreiben.
Es klopfte sanft an der Tür. Als Michael aufmachte, sah er Nathan Boone und Dr. Dawson vor sich. Boone wirkte so stoisch wie immer, aber der Wissenschaftler machte einen aufgeregten Eindruck.
»Wie geht es Ihnen, Mr. Corrigan? Haben Sie gut geschlafen?«
»Einigermaßen.«
»Die Mitarbeiter warten«, sagte Boone, »kommen Sie.«
Sie fuhren mit dem Aufzug zur Lobby hinunter und gingen nach draußen. Der Wind kam aus Nordost, und die Wipfel der Kiefern hinter der Schutzmauer bogen sich, als wäre eine Armee von Holzfällern mit Kettensägen unterwegs. Als sie den weißen Kubus erreicht hatten, hob Boone kurz die Hand. Eine Stahltür glitt beiseite, und sie betraten einen großen Raum mit einer verglasten Galerie, die sich in über sieben Metern Höhe über dem Betonboden dahinzog.
Während Dawson und Boone über die Treppe zur Galerie heraufstiegen, streifte Michael seine Schuhe ab und legte sich auf den Untersuchungstisch in der Hallenmitte. Ein taiwanesischer Arzt namens Lau kam dazu und begann, Sonden an Michaels Armen und an seinem Kopf zu befestigen. Michael roch Laus zitronenfrisches Rasierwasser und hörte das Surren der Klimaanlage. Schatten tanzten über die Wand, wenn der Arzt um den Tisch herumging.
»Fertig«, sagte Dr. Lau leise. »Das Mikrofon ist eingeschaltet. Man kann uns in der Galerie hören.«
»Okay. Ich bin bereit.«
Ereignislose Minuten verstrichen. Michael hatte die Augen geschlossen, aber er wusste, dass alle Blicke auf ihn gerichtet waren. Vielleicht stimmte irgendetwas nicht? Sollte er versagen, würde Nathan Boone Mrs. Brewster davon berichten,
und die würde eine Rufmordkampagne gegen ihn starten. Michael erinnerte sich an das Schicksal von Dr. Richardson. Dem Neurologen war vor einigen Monaten die Flucht aus dem Forschungszentrum gelungen, aber Boones Männer hatten ihn bis auf die Fähre nach Neufundland verfolgt und ins Meer gestoßen.
Michael öffnete die Augen und sah Dr. Lau neben dem OP-Tisch stehen. »Liegen Sie bequem, Mr. Corrigan?«
»Sie haben Ihre
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