Traveler - das Finale
sank auf den Sessel zurück. »Da ist vielleicht was Wahres dran.«
»Sie leben. Da bin ich mir ziemlich sicher. Gabriel war kein Geist, und Sie sind gekommen, um ihn zu retten. Und nun sitzen Sie hier fest wie alle anderen.«
»Deswegen haben Sie mich aufgestöbert? Um mir zu sagen, dass ich festsitze?«
»Ich bin hier, um Ihnen zu helfen. Und mir selbst natürlich auch. Aber zunächst müssen wir zur Bibliothek. Ich habe das ganze Gebäude abgesucht und endlich den Kartenraum gefunden. Die Tür ist immer noch abgeschlossen. Ich glaube nicht, dass er jemals geplündert wurde.«
»Die Leute hier machen sich nichts aus Karten. Sie wollen etwas zu essen – und Waffen.«
»Ja. Das stimmt. Mehr wollen sie nicht. Aber ich bin überzeugt, dass sich in der Bibliothek eine Karte der Insel befindet. Immer schon hat es Gerüchte über einen Tunnel unter dem Fluss gegeben. Die Karte wird uns zeigen, wo der Eingang liegt.«
Mayas Finger tippten nervös an den Schwertgriff. Der Zugangspunkt, durch den sie in die Vierte Sphäre zurückgelangen konnte, lag mitten im Fluss. Zwei Mal war sie schon hinausgeschwommen, um ihn zu finden, aber die Strömung war so stark gewesen, dass sie es nur mit Mühe wieder an das Ufer geschafft hatte. Sie wusste nicht, was sich hinter der Dunkelheit am anderen Ufer verbarg, aber auf dieser Insel konnte sie
nicht bleiben. Ihr Körper wurde schwächer, je länger sie blieb. Irgendwann würden die Wölfe sie erwischen.
»Warum haben Sie die Karte nicht längst gesucht, um zu verschwinden?«, fragte sie.
»Ich brauche Ihre Hilfe.« Pickering schaute auf seine zerlumpte Kleidung und zwei verschiedene Schuhe herunter. »Es ist gar nicht so einfach, in den Kartenraum zu kommen.«
Seine Geschichte stimmte teilweise: In der Stadt gab es tatsächlich eine Bibliothek. Maya war einige Male an der Ruine vorbeigelaufen, ohne sie je betreten zu haben. Auf ihren Wanderungen über die Insel hatte sie zwischen den Trümmern immer wieder kleine Überreste von Normalität entdeckt. Und wenn Einkaufslisten und Schulzeugnisse erhalten waren, könnte es tatsächlich eine Karte geben, die ihnen den Fluchtweg aufzeigte.
Die plötzliche Hoffnung war so übermächtig und unerwartet, dass Maya sich weder rührte noch etwas sagte. Es war, als hätte sie ein glühendes Brikett in einem erkalteten Aschehaufen entdeckt, eine heiße, helle Glut, die sich möglicherweise neu entfachen ließ, um Licht ins Dunkel zu bringen.
»Also gut, Pickering, wir gehen zur Bibliothek.«
»Es wäre mir das größte Vergnügen, Sie hinzuführen. Und wenn wir die richtige Karte finden …«
»Verlassen wir die Insel gemeinsam.«
»Ich hatte gehofft, Sie würden das sagen.« Der kleine Mann grinste. »Niemand auf dieser Insel hält seine Versprechen, niemand außer Ihnen.«
Maya schob den Schreibtisch an seinen alten Platz zurück und folgte Pickering aus dem Büro. Sie stiegen die Wendeltreppe hinunter und traten auf die von Trümmern und ausgebrannten Autowracks übersäte Straße. Pickerings Kopf ruckte vor und zurück. Er war wie ein kleines Tier, das sich aus seinem Bau gewagt hatte.
»Und jetzt?«
»Bleiben Sie dicht hinter mir.«
An der Inselspitze gab es ein Dickicht aus abgestorbenen Bäumen und Dornbüschen, ansonsten war das Eiland von den Ruinen der Stadt bedeckt. Maya hatte einzelnen Orten einen Namen gegeben: Es gab das Versicherungsgebäude, den Schulhof, das Theaterviertel. Sie versuchte, sich vorzustellen, wie die Stadt ausgesehen hatte, als die Kämpfe ausgebrochen waren. Hatten die Bäume jemals Blätter getragen? War wirklich eine Trambahn durch die Hauptstraße gerollt, hatte der Schaffner die kleine Messingglocke geläutet?
Pickering betrachtete die Hölle mit anderen Augen. Er ignorierte die wenigen verbliebenen Straßenschilder und schien über jede einzelne Flamme Bescheid zu wissen, die qualmend aus den Rissen der zerstörten Gasleitungen schlug. Seine Stadt setzte sich aus verschiedenen Abstufungen von Licht und Dunkelheit zusammen. Den größten Teil der Strecke führte er Maya durch den Schatten, wobei er die Flammen ebenso mied wie die schwarzen Nischen, in denen möglicherweise jemand lauerte. »Hier entlang … hier entlang«, zischelte er. Maya musste laufen, um mit ihm Schritt zu halten.
Sie betraten ein geplündertes Kaufhaus mit eingeschlagenen Vitrinen und übereinander gestapelten Schaufensterpuppen. Die Puppen lächelten, so als freuten sie sich über die Zerstörung. Sie liefen zum
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