Traveler - das Finale
Zorn der Mütter völlig verängstigten Babys weinen.
»An diesen Verbrechen besteht kein Zweifel«, tönte der Hirte, »ebenso wie an der Strafe kein Zweifel besteht.«
Streiter bewegten die Scharniere der schweren Stühle, die sich in hölzerne Folterbänke verwandelten, auf denen die Gefangenen ausgestreckt lagen. Man riss den Männern die Gewänder vom Leib, und dann kam eine zweite Gruppe von Streitern mit langen, an Stahlseilen befestigten Fleischerhaken auf die Bühne. Die Enden der Seile wurden an Balken hoch über der Bühne befestigt.
Chorgesang setzte ein, als die Haken mit einem Hammer ins Fleisch der Gefangenen getrieben wurden. Die Stahlseile spannten sich, und der Vergewaltiger wurde in die Höhe gezogen. Nackt und aus allen Wunden blutend strampelte und zappelte er, um sich loszureißen. Dann wurden der Mörder und der Hirte, der das Heiligtum entweiht hatte, ebenfalls hochgezogen. Jeder von ihnen baumelte an drei Hakenpaaren,
die sich in Schulterblätter, Unterleib und Beine gebohrt hatten.
Die Seile, an denen der Diener hing, waren bis zum Reißen gespannt. Zunächst wurden ihm beide Beine abgerissen, dann die Arme. Die beiden letzten Seile spannten sich weiter, bis der Torso in einer blutigen Explosion auseinanderriss. An den Haken verbliebenes Fleisch und Knochen baumelte hin und her wie ein blutiges Pendel, während die beiden anderen Gefangenen auf gleiche Art hingerichtet wurden. Als alles vorbei war, wurden die Seile gelöst und alle Fleischreste am hinteren Ende der Bühne fallen gelassen. Der Scheinwerfer richtete sich auf den blonden Hirten. Mit ernstem Gesicht legte er die Hände aneinander und murmelte den Spruch, den Michael schon früher am Tag gehört hatte.
»Alles ist gut, wenn ein jeder seinen Teil erfüllt.«
Die Musik veränderte sich, und einen Augenblick später betraten die zwölf Brautpaare wieder die Bühne. Die jungen Frauen waren in dunkelrote Kleider, die Männer in schwarze Uniformen gesteckt worden. In der Scheinwerferglut wirkte es, als schwebten sie durch die Finsternis, aber Michael konnte den blutverschmierten Boden dahinter deutlich erkennen. Gesang und Musik schwollen zum Crescendo an, als sich die Bühnenrückwand öffnete wie ein riesiges Tor. In der Ferne glühten die neun Türme so hell, dass sie die Stadt überstrahlten. Ein letzter Tusch, und der Visionär verdunkelte sich.
Sekundenlang blieb die Menge der treuen Diener stumm und reglos sitzen. Dann fingen die ersten Kinder an, sich zu regen und ihre Eltern aus der Trance zu reißen. Öllampen wurden angezündet, deren orangefarbener Schein auf zufriedene Gesichter fiel. Sie waren müde – ja, der Tag war anstrengend gewesen –, aber irgendwie hatte die Zurschaustellung von Hoffnung, Glück und Grausamkeit alle verändert. Das Leben war gut. Zeit, ins Bett zu gehen.
Michael fühlte sich so, als hätte er den Sturz von einem
hohen Gebäude überlebt. Er starrte weiterhin auf den Bildschirm, so als würde dort jeden Augenblick ein Gesicht auftauchen und ihm das Gesehene erklären. Widersprüchliche Gedanken schossen ihm durch den Kopf, und er zuckte zusammen, als ihn jemand an der Schulter berührte.
Es war bloß Verga, der eine Öllampe in die Höhe hielt. »Kommt mit, Tolmo. Ihr schlaft bei uns, im Haus der Sires.«
Als sie das dreieckige Gebäude betraten, sah Michael, dass die Männer sich aus dem Stroh in der Saalmitte Schlaflager bauten. Ein jeder nahm sich drei oder vier Arm voll davon, brachte es zu einem freien Platz an der Wand und legte sich darauf wie in ein Nest. Michael benötigte längere Zeit, um sein eigenes Lager bequem zu machen. Eine Lampe nach der anderen wurde gelöscht, und das Öl hinterließ einen leicht buttrigen Geruch in der Luft. Michael war müde, aber wachsam. Er zog sein Messer aus der Scheide und legte es in der Nähe seiner rechten Hand ab.
Komm zu uns , dachte er. Nach allem, was er gesehen hatte, könnte die Nachricht tatsächlich von dieser Zivilisation stammen. Komm zu uns … und dann? Würde man ihn auf die Bühne zerren und vierteilen, weil er sich als Hirte ausgegeben hatte? Michael setzte sich auf und überlegte. Er durfte auf keinen Fall hierbleiben. Es war zu gefährlich. Sobald die anderen eingeschlafen waren, würde er an den Gleisen entlang bis zu dem Handwagen laufen und dort auf den Sonnenaufgang warten. Im Morgengrauen könnte er den Weg zum Einstiegspunkt finden.
Nun, da er sich einen Plan überlegt hatte, gewann er Abstand zu den
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