Traveler - das Finale
eine müde Maske.
»Ganz offensichtlich wurde ich nicht über alle Maßnahmen in Kenntnis gesetzt.« Mrs. Brewster klang so schrill und dennoch so gefasst wie eine gebildete Engländerin, die auf ihrem Rasen eine tote Ratte entdeckt hat.
»Gibt es ein Problem?«
»Die Stühle .« Sie zeigte zu den Sitzreihen am Ende des langen Kreuzganges hinüber. »Ist das wirklich nötig? Immerhin geht es um eine kurze Begrüßungsrede.«
»Möglicherweise fällt meine Rede ein wenig umfangreicher als ursprünglich geplant aus. Meiner Meinung nach steht unsere Organisation an einem historischen Wendepunkt. Wir brauchen eine neue Zukunftsstrategie.«
»Und wie soll die aussehen?«
»Ich bin mir sicher, Sie werden mich unterstützen«, sagte Michael und ließ Mrs. Brewster mitten im Raum stehen.
Er vergewisserte sich, dass die Rede in seiner Smokingjacke steckte, dann machte er sich auf den Weg ans Ende des Gangs. Um den Schaukasten aus Holz und Glas, in dem Benthams Auto-Ikone aufrecht saß, hatten sich anfänglich viele Delegierte gedrängt, aber nun starrte der tote Philosoph ins Leere.
Bentham war der Überzeugung gewesen, dass die Überreste bedeutender Männer keineswegs verbrannt werden oder in Grüften verschwinden durften. Stattdessen sollten ihre Leichen in so genannte Auto-Ikonen verwandelt werden, um nachfolgende Generationen zu inspirieren. Das Skelett saß in Benthams ausgestopfter Originalkleidung auf einem Stuhl, den Gehstock über die Knie gelegt. Der breitkrempige Hut bedeckte einen Teil des wächsernen Gesichts.
Beim Betrachten der Ikone verspürte Michael keine Ehrfurcht. Dennoch beeindruckte ihn die Tatsache, dass Bentham selbst nach seinem Tod noch so viel Anerkennung einforderte. Vor Kurzem hatte die Universitätsleitung den für den Schaukasten zuständigen Wachmann gefeuert und durch eine Überwachungskamera ersetzt, die unter der Decke montiert war. Der Schöpfer des Panopticons wurde nun selbst vom Raster erfasst.
»Verzeihung …«
Michael fuhr auf dem Absatz herum und sah, dass Nathan Boone ihn beobachtete. Der Sicherheitschef der Evergreen Foundation trug einen dunkelblauen Anzug und wirkte so ernst wie ein Bestattungsunternehmer.
»Möchten Sie mich etwas fragen, Mr. Boone?«
»Laut Tagesordnung halten Sie die Eröffnungsrede. In der Vergangenheit war es üblich, das Servicepersonal während des gesamten Empfangs mit Getränken und anderen Erfrischungen herumzuschicken. Ihrer E-Mail entnehme ich aber, dass das Personal sich für die Dauer Ihrer Ansprache zurückziehen soll?«
»Ja, ich möchte zur Bruderschaft sprechen. Keine Außenstehenden.«
Boone hob sein Funkgerät und raunte hinein. »Der Vorstandsvorsitzende wird in wenigen Minuten das Podium betreten. Bitte ziehen Sie das Personal ab und sichern Sie die Türen.«
Zwei von Boones Wachmännern lösten sich vom Rand der Menge und flüsterten den Kellnerinnen etwas zu, woraufhin die sich mitsamt ihrer Silbertabletts zum Ausgang schoben. Allein Boone blieb stehen. Er sah den Traveler eindringlich an, so als könnte ihm die Farbe von Michaels Krawatte einen Hinweis auf die Zukunft geben.
»Noch etwas, Mr. Boone?«
»Die Londoner Abteilung hat mich darüber informiert, dass Sie ein neues Team zusammenstellen werden?«
»Das stimmt. Ich nenne es die ›spezielle Projektgruppe‹.«
»Und Sie haben meine Männer dafür ausgewählt?«
Michael konzentrierte sich auf Boones Gesicht. Der Sicherheitschef versuchte, seine Gefühle unter Kontrolle zu halten, doch das Zucken seiner Lider und Mundwinkel verriet ihn. So wie Mrs. Brewster wurde auch er mit sanfter Gewalt aus seiner Position verdrängt, und offenbar hatte er begriffen, was das für ihn bedeutete.
»Ja. Ich habe mir die Kartei angesehen und Männer angeheuert, die Ihnen bei früheren Operationen von Nutzen waren. Ich wollte die Dinge vorantreiben, und Sie waren mit Ihren zahlreichen anderen Verpflichtungen beschäftigt.«
»Können Sie mir sagen, wie dieses ›spezielle Projekt‹ aussehen wird?«
»Ich habe tatsächlich einen Plan, Nathan, aber ich bin zu diesem Zeitpunkt noch nicht bereit, die Details preiszugeben. Nach meiner Ansprache werde ich den Vorstand um eine Generalvollmacht bitten. Die Bruderschaft hat sich bislang offenbar auf örtliche und regionale Projekte konzentriert. Es ist an der Zeit, eine offensivere, weltweite Strategie zu entwickeln.«
Boones Finger zuckten, so als wollte er Michael am liebsten erwürgen. »In der Vergangenheit sind wir ziemlich
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