Traveler - das Finale
voller Gefahren ist.
Wenn wir nicht vor drastischen Maßnahmen zurückschrecken, können wir unser Ziel innerhalb weniger Jahre erreichen. Nun kommt es auf Stärke an, nicht auf diplomatisches Geschick. Wir brauchen echte Führer, keine Komitees. Wir müssen aufstehen und sagen: ›Schluss mit den halbherzigen Versuchen. Schluss mit den Kompromissen. Wir werden alles tun, was nötig ist, um diese Welt zu verbessern.‹
Ich stehe heute als treuer Diener vor Ihnen. Ich bin bereit, Ihrem Befehl zu gehorchen und Ihre Vision umzusetzen. Ich spreche nicht von einem unerreichbaren Traum. Was ich heute Abend beschrieben habe, ist eine unumstößliche Tatsache – wenn Sie für den nächsten Schritt bereit sind. Ich brauche nichts weiter als Ihre Zustimmung und Unterstützung. Vielen Dank.«
Michael neigte kurz den Kopf, faltete den Zettel zusammen und ließ ihn in seiner Tasche verschwinden. Es war vollkommen still, doch er vermied es, ins Publikum zu sehen.
Jemand begann zu klatschen – langsam, nachdrücklich –, und andere Zuhörer folgten dem Beispiel. Der Applaus schwoll an und wurde von den Wänden des Kreuzgangs zurückgeworfen. Als Michael den Kopf hob, begegnete er Mrs. Brewsters Blick. Sie hatte ihre Hände zu Fäusten geballt und ihre Lippen zu einem schmalen, roten Strich zusammengekniffen.
Sie stirbt als Erste, dachte Michael . Ich sollte eine Liste anlegen.
NEUNZEHN
M aya trug ein Krankenhausnachthemd aus Zellstoff und saß in einer Tagesklinik im Osten Londons auf der Kante eines Untersuchungstisches. Im Regal neben dem Waschbecken stapelten sich eselsohrige Zeitschriften, aber sie hatte keine Lust, sich über »Geheimnisse, die Männer nicht verraten« oder die »einwöchige Bikini-Diät« zu informieren.
Als Maya in Begleitung der anderen nach London zurückgekommen war, hatte der stechende Schmerz der Oberschenkelwunde, die sie sich in der Ersten Sphäre zugezogen hatte, immer noch nicht nachgelassen. Die englische Ärztin hatte die Wunde gesäubert, die von einem Kairoer Arzt genähten Stiche untersucht und Maya Antibiotika und Schmerzmittel verschrieben. Seit zwölf Tagen erholte sie sich nun im Tyburn Convent. Die Benediktinerinnen hatten sie mit fadem Essen versorgt und sämtliche Synonyme des Wortes »ausruhen« geflüstert. Ausgeruht hatte Maya sich, aber nichts war passiert. Die Wunde blutete weiterhin, und immer noch tauchten Bilder aus der Hölle in ihren Träumen auf.
Es war etwa zwei Uhr nachmittags, und der gedämpfte Lärm des Klinikalltags drang durch die dünnen Wände. Türen wurden aufgerissen und zugeknallt. Jemand schob einen quietschenden Wagen durch den Korridor, und zwei Krankenschwestern tratschten über einen Mann namens Ronnie.
Maya blendete die Hintergrundgeräusche aus und konzentrierte sich auf das Kindergeschrei im Nachbarzimmer. Ganz offenbar fügte man dem Kind absichtlich Schmerzen zu. Mayas Kleider und der Schwertköcher hingen an einem Haken
an der Tür, in ihrer Kuriertasche lag ein Messer. Sie könnte sich anziehen, nach nebenan gehen und die Folterknechte erstechen.
Eine Hälfte ihres Verstandes wusste, dass das die Gedanken einer Verrückten waren. Ich bin in einer Klinik. Die Ärzte hier versuchen, den Menschen zu helfen. Ein dunkler Impuls verleitete sie jedoch, vom Tisch herunterzugleiten und sich ihren Waffen zu nähern. Als sie eine Hand nach dem Schwertköcher ausgestreckt hatte, riss das Geschrei unvermittelt ab, und Maya hörte die Mutter des Kindes von einer großen Eiswaffel reden.
Dann vernahm sie Schritte im Korridor. Die Tür sprang auf, und Dr. Amita Kamani trat ein. Seit Mayas letztem Klinikbesuch hatte die junge Ärztin sich das Haar kürzer schneiden lassen, außerdem trug sie unter dem weißen Kittel ein knallrosa T-Shirt mit der Aufschrift KINDER SIND UNSERE ZUKUNFT.
»Guten Tag, Mrs. Strand. Was macht der Schnitt? Schon verheilt?«
»Sehen Sie selbst.«
Dr. Kamani zog ein Paar Latexhandschuhe über, setzte sich auf den Hocker vor dem Untersuchungstisch und machte sich daran, den Verband von Mayas Oberschenkel zu lösen. Eine der Nonnen im Konvent hatte den Verband vor etwa zwei Stunden erneuert, dennoch war er schon wieder von Blut durchtränkt. Als Dr. Kamani die Watte entfernte, konnte sie sehen, dass die Naht hielt, sich aber noch kein Narbengewebe gebildet hatte.
»Der Heilungsprozess scheint nicht normal zu verlaufen. Sie hätten früher herkommen sollen.« Dr. Kamani ließ den Verband in einen Mülleimer fallen. Sie
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