Traveler - das Finale
einer verrückten alten Dame, die Porzellankatzen sammelte.
Als die Itako zurückkam, hatte sie eine kurze, weiße, mit japanischen Schriftzeichen bedruckte Baumwolljacke angelegt. Sie streckte die Hand aus und sagte etwas auf Japanisch, woraufhin Billy Hirano ihr fünftausend Yen gab. Die Itako zählte das Geld wie eine Bäuerin, die soeben ein Schwein verkauft hat, und schob die Scheine unter eine der Katzenfiguren. Dann wuselte sie durchs Zimmer, um Kerzen und Weihrauch anzuzünden.
Sobald alle Kerzen brannten, kniete die alte Frau nieder und klappte eine lackierte Holzkiste auf. Sie nahm eine kunstvoll gearbeitete Halskette heraus und legte sie an. Die Kette bestand aus einem dunklen Lederband, auf das durchlöcherte Münzen, vergilbte Bärenkrallen und ein paar spiralförmige
Holzstückchen aufgezogen waren. Sie starrte Hollis für eine Weile ins Gesicht, bevor sie auf Japanisch zu ihm sprach.
Billy übersetzte. »Sie möchte wissen, wonach du suchst.«
»Das ist doch lächerlich. Ich kann nicht glauben, dass Sparrow tatsächlich mit dieser Frau geredet haben soll. Wir sollten von hier verschwinden.«
»Hollis, du darfst sie nicht verärgern. Eine Itako verfügt über unheimliche Kräfte.«
»Soweit ich es beurteilen kann, ist sie bloß eine alte Dame mit einer unheimlich großen Souvenirsammlung.«
»Tu, was sie verlangt«, flehte Billy, »bitte sag ihr, was du hier willst.«
Hollis wandte sich der Itako zu. »Eine Freundin von mir ist gestorben. Ich möchte mich mit ihr unterhalten.«
Billy übersetzte die Bitte. Die Itako nickte langsam, so als habe man sie nach dem Weg zum Bahnhof gefragt. Sie langte in die Holzkiste und holte eine lange Kette mit Gebetsperlen heraus, die sie zwischen beide Handflächen nahm. Sie schloss die Augen, rieb die Perlen aneinander und stimmte ein buddhistisches Sutra an.
Hollis beschlich das Gefühl, die weißen Katzengesichter auf dem Altar beäugten ihn mit einem schelmischen Lächeln. Die Itako wirkte alt und müde, und einige Male schien sie beim Beten den Faden zu verlieren. Plötzlich hörte ihr Gesang abrupt auf, und ihr Kinn fiel auf ihre Brust. Sekunden später wurde ihr Kopf zurückgerissen, und ihr ganzer Körper versteifte sich. Ein Schauder durchlief sie, und die Gebetsperlen fielen auf die Schilfmatte. Die Itako sog Luft ein, und als sie wieder ausatmete, drang ein Geräusch aus ihrem erschlafften Mund.
Zunächst war nichts zu hören als eine sinnlose Abfolge von Silben, später dann eine Mischung aus japanischen und englischen Wörtern. Es klang, als drehe man an einem Radioknopf, um den richtigen Sender zu finden. Noch mehr Wörter. Gelegentlich ein verstümmelter Satz.
»Hollis .«
Es war ihre Stimme. Vickis Stimme. Hollis konnte nicht glauben, was er hörte.
»Hollis ?«
»Ich … ich vermisse dich so sehr, Vicki. Vielleicht höre ich deine Stimme nur in meinem Kopf? Das kann nicht wahr sein.«
Ein langes Schweigen. Der Körper der Itako bebte, und ihre Augen verdrehten sich.
»Zum ersten Mal haben wir im Loft in Chinatown miteinander geschlafen. Maya und Gabriel mussten irgendwo hin, und wir waren endlich allein. Du hast die Matratze auf den Boden gelegt. Danach lagen wir noch lange nebeneinander. Im Loft war es so kalt, dass von unseren Körpern weißer Dampf aufstieg, der sich in der Luft auflöste.«
Hollis hatte das Gefühl, zu zerbrechen und auseinanderzufallen. »Wo bist du?«, fragte er.
»Weg. Und doch hier .«
»Vicki, ich bin so verloren. So verdammt verloren. Ich weiß nicht, wohin.«
»Du bist auf dem rechten Weg, du kannst es nur noch nicht sehen. Wenn du dich daran erinnerst, wer du bist, wirst du wissen, was zu tun ist.«
»Ich kann deinen Mördern nicht vergeben.«
»Eines musst du wissen, Geliebter … Glaube mir, das Licht lebt weiter.«
Die Itako atmete zum letzten Mal aus und sank dann auf dem Boden zusammen, als habe man ihr die Seele aus dem Leib gerissen.
SIEBZEHN
M ichael Corrigan hob eine Champagnerflöte von dem Silbertablett, das die junge Frau ihm entgegenhielt, und mischte sich unter die Leute, die sich im Kreuzgang des Colleges versammelt hatten. Die jährliche Mitgliederversammlung der Bruderschaft zog Vertreter aus der ganzen Welt an, und ein jeder suchte das persönliche Gespräch mit dem jungen Amerikaner, der kürzlich zum Vorstandsvorsitzenden aufgestiegen war. Noch bevor er den Raum ein Mal durchquert hatte, wurde Michael von Mr. Choi angesprochen, dem Delegierten aus Singapur, der ihn mit dem
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