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Traveler - das Finale

Traveler - das Finale

Titel: Traveler - das Finale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag <München>
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Jägers nach außen und entfaltete sich zu kleinen Flügeln, die ihn durch die Luft segeln und auf dem Rücken der Beute landen ließen. Gabriel konnte sowohl den Schmerz des Opfers als auch die Euphorie des Angreifers spüren. Beide gingen zu Boden, und das Pferd schrie und strampelte bei dem Versuch, sich zu befreien. Aber schon hatte das seltsame Wesen seine Krallen in die Beute geschlagen und mit dem mächtigen Kiefer die Pferdeschnauze fest gepackt. Der Jährling bekam keine Luft mehr, bäumte sich ein letztes Mal auf und brach schließlich tot zusammen.
    Die Herde blieb einen knappen Kilometer entfernt auf einem Erdhügel stehen, um sich noch einmal nach dem gerissenen Pferd umzusehen. Gabriel hatte den Eindruck, sie wäre ein einziges Wesen, das einen Körperteil geopfert hatte, um den Rest zu retten.
    Eines der Raubtiere entdeckte ihn und stieß ein tiefes Schnauben aus. Gabriel löste sich aus der Position des unbeteiligten Zuschauers und stolperte durch das Gras auf die nächste Steinpyramide zu. In dieser Welt und in diesem Moment war er nicht mehr der Überlegene, der Werkzeuge benutzte, um alle Lebewesen zu beherrschen. Die menschliche Verletzlichkeit zu erfahren kam einer Demütigung gleich: Er war nichts weiter als ein kleiner, schwacher Primat mit kleinen Zähnen und nutzlosen Fingernägeln.
    Als er die Pyramide erreicht hatte, drehte er sich um und sah die drei Räuber über ihre Beute herfallen. Auf der grünen
Ebene zeigte sich ein blutroter Fleck. Plötzlich musste Gabriel an die Flügel der Angreifer denken – Hautflügel, ähnlich denen einer Fledermaus. Hätte es einen Adlerkopf, sähe das Tier genau so aus wie der legendäre Vogel Greif. Und was war mit den Pferden? Der knochige Stirnhöcker ließ Gabriel an Einhörner denken.
    Generationen von Travelern hatten diesen Garten Eden besucht und das Wissen in die Vierte Sphäre getragen. Ihre Schilderungen hatten in Form von Mythen und Legenden überlebt; das Einhorn war zum mittelalterlichen Symbol der Reinheit geworden, das Bild des Greifen zierte Schwerter und Paläste. Die Macht der Symbole verschleierte ihre wahre Herkunft; die Mythen schlugen eine Brücke zu den Parallelwelten.
     
    Hinter dem Plateau wurde der Pfad wieder sichtbar. Er folgte einem Bach, der sich den Hügel hinunterschlängelte. Riesige Bäume mit rauer, grauer Rinde hatten ihre Wurzeln in den Erdboden geschlagen und erhoben sich zu einem grünen Königreich. Ihre Äste bildeten eine Art Schattendach und waren so schwer, dass sie fast bis zum Boden durchhingen. Die Früchte in den Bäumen erinnerten Gabriel an getrocknete Feigen und schienen die Nahrungsgrundlage von Singvögeln und kleinen, eichhörnchenähnlichen Tieren zu sein.
    In der Luft hing ein süßer, blumiger Duft. Gabriel setzte sich neben den Bach und starrte in die Baumwipfel hinauf. Sich ihrer langsamen Weltwahrnehmung anzuschließen war, als betrete man eine riesige Kathedrale mit dunklen Nischen und Buntglasfenstern, durch die spärliches Licht einfällt. Den Bäumen fehlte jegliches Zeitgefühl, dennoch waren sie sich der Eichhörnchen bewusst, die zwischen ihren Ästen herumkletterten, an der Rinde kratzten und triumphierend quiekten, sobald sie etwas Essbares gefunden hatten.
    Gabriel beugte sich vor, um zu trinken und sich Wasser ins
Gesicht zu spritzen. Als er die Augen wieder aufschlug, bemerkte er etwas. Direkt vor ihm ragte ein knapp einen Meter langer Stock aus dem Boden. Jemand – oder etwas – hatte die Stelle markiert.
    Gabriel umkreiste den Stock und entdeckte in etwa fünfzig Metern Entfernung einen zweiten. Irgendjemand hatte den Weg zum Einstiegspunkt gekennzeichnet.
    Gabriel war jetzt vorsichtiger und versuchte, im Unterholz zu bleiben. Er folgte den Stöcken zu einem roten Felsen, der den Wald überragte. Der Stein zeigte tiefe Risse und Erosionsspuren, und an einer Stelle häufte sich das Geröll vor dem Felsen wie Sand, der aus einer zerbrochenen Sanduhr geflossen war.
    Über die Halde führte ein Trampelpfad im Zickzack zu einem Höhleneingang hinauf. Dort lauerte etwas in der Dunkelheit. Gabriel konnte die Anwesenheit des Wesens deutlich spüren, seine Grausamkeit und Intelligenz. Lauf weg, dachte er. Aber im selben Moment hatte das Wesen seine Anwesenheit bemerkt und zeigte sich im Höhleneingang.
    Gabriel blickte den Hang hinauf und sah seinen Bruder.

EINUNDZWANZIG
    M ichael wich in die Höhle zurück. Als er wieder herauskam, trug er ein Talismanschwert um die Schulter. Beide

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