Traveler - das Finale
spezielle Projektgruppe hatte Boone nicht mehr übermittelt als Doyles Namen und Aufenthaltsort. Boone hatte angenommen, der Amerikaner säße wegen eines Drogendelikts ein. »Vielleicht klären Sie mich auf?«
»Wir verdächtigen ihn, in der Provinz Khian Sa mehrere Kinder verschleppt und ermordet zu haben.«
Boone war so überrascht, dass er seine Gefühle nicht verbergen konnte. »Er hat Kinder ermordet?«
»Nun ja, genau genommen haben wir keine Beweise. Aber ein Kind verschwand, sobald er in die Nähe eines Dorfes kam. Die Polizei hat ihn monatelang überwacht – ohne Ergebnis. Mr. Doyle ging sehr geschickt vor.«
»Warum sitzt er dann im Gefängnis?«
»Er wurde wegen eines Verstoßes gegen die Visumsbestimmungen verhaftet, und der Richter verurteilte ihn zur Höchststrafe.« Captain Tansiri wirkte zufrieden. »Das ist Thailand. Wir lösen unsere Probleme mit Ausländern selbst.«
»Eine ausgezeichnete Herangehensweise, Captain. Aber vermutlich ist es das Beste, wenn ich mit Mr. Doyle spreche und mich selbst informiere.«
»Natürlich, Sir. Hier entlang.«
Der Captain führte Boone in einen Besuchsraum, der durch eine Barriere aus Stahlstreben, Maschendraht und Plexiglas zweigeteilt wurde. Zwei Kinder knieten am Boden und spielten mit einem kleinen Mülllaster, während die Erwachsenen sich über Telefonhörer mit den Gefangenen unterhielten. Tansiri schloss eine Tür auf, die in einen noch kleineren Raum mit Holzbänken führte, auf denen fünf Männer rauchend und plaudernd saßen. Sie trugen Flipflops, dunkelbraune Shorts und T-Shirts. Neben jedem Mann lag ein selbst geschnitzter Knüppel oder eine kurze Peitsche auf der Bank.
»Wir haben viel zu viele Gefangene und zu wenig Personal. Diese Freiwilligen helfen uns, den Betrieb aufrechtzuerhalten.«
Boone bemerkte, dass drei der Männer ein unter dem T-Shirt verstecktes Messer trugen. Die Freiwilligen hatten hier das Sagen. Falls es hier so lief wie in den anderen Gefängnissen der Dritten Welt, waren sie noch viel gefährlicher als die Wachen.
Die Freiwilligen folgten ihnen durch einen Korridor mit etwa vier Meter breiten und sieben Meter tiefen Gefängniszellen. Jede Zelle war mit einer Toilettenschüssel, einem Wasserkrug und einem an die Decke montierten Fernseher ausgestattet. Es gab keine Betten.
»Hier werden die Gefangenen über Nacht eingeschlossen. Jede Zelle fasst ungefähr fünfzig Insassen.«
»Das sind ziemlich viele, Captain. Wie bekommen Sie die da rein?«
»Sie schlafen auf der Seite – Kopf an Fuß an Kopf. Gegen eine kleine Spende an die Freiwilligen darf man auf dem Rücken schlafen.«
»Und wie schläft Mr. Doyle?«
»Er hat eine eigene Matratze und ein Kissen.«
»Wie kann er sich das leisten? Schickt ihm jemand Geld?«
»Mr. Doyle hat keine Freunde, und von seiner Familie haben wir nie etwas gehört. Er verdient sich ein paar Baht damit, die Briefe der anderen Gefangenen zu übersetzen. Ohne diese Arbeit bekäme er das Gefängnisessen und müsste sich in der Gemeinschaftsdusche waschen. Unter den Blinden ist der Einäugige König.«
Captain Tansiri schloss die letzte Tür auf, und sie betraten den Gefängnishof. Ringsum waren Buden aufgestellt, deren Betreiber Medikamente, Säfte und auf dem Gaskocher zubereitetes Essen anboten. Es war etwa ein Uhr mittags, und die
Sonne brannte auf den lehmigen Boden und das vertrocknete Gras nieder. Ein paar jüngere Männer kickten einen Fußball hin und her, aber die meisten Gefangenen saßen im Schatten des Hauptgebäudes, unterhielten sich und spielten Karten.
Als die kleine Gruppe den Hof überquerte, fragte Boone sich, warum man ausgerechnet ihn für diesen Auftrag ausgewählt hatte. Michael Corrigan musste seine Personalakte studiert und von einem Vorfall erfahren haben, der viele Jahre zurücklag. Vielleicht hatte man ihn nach Thailand geschickt, um seine Loyalität auf besonders raffinierte Weise auf die Probe zu stellen?
Martin Doyle saß auf einem Plastikkanister vor einer Holzkiste, die ihm als Schreibtisch diente. Er schrieb auf einem Notizblock, während neben ihm einer seiner Auftraggeber auf einem zweiten Kanister saß und wartete. Doyle war ein großer Mann mit schwarzem, gewelltem Haar und vollen Lippen. Früher einmal mochte er als gut aussehend gegolten haben, aber inzwischen wirkte er fleischig und aufgedunsen.
Boone blieb mitten auf dem Hof stehen und wandte sich an Captain Tansiri. »Ich möchte unter vier Augen mit Mr. Doyle sprechen.«
»Natürlich,
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