Treffpunkt Las Vegas
deutete mit dem Daumen auf die Tür, an der ich eben vergeblich geläutet hatte.
»Ich weiß, aber sie scheint nicht zu Hause zu sein.«
»Nein. Das ist sie um diese Zeit auch nie.«
Die Frau war in den Vierzigern. Ihre neugierig funkelnden schwarzen Augen konnten nicht eine Sekunde lang ruhig bleiben; ihr Blick wanderte zu meinem Gesicht, dann irgendwo anders hin und sofort wieder zu mir zurück.
»Können Sie mir vielleicht sagen, wo ich Miss Framley jetzt finden kann?«
»Kennen Sie sie denn?«
»Leider nein. Ich stelle Nachforschungen wegen ihrer Einkommensteuer für das Jahr 1939 an.«
»Na, da wird doch der Hund in der Pfanne verrückt...« Sie wandte sich halb nach hinten und rief über die Schulter: »Pap, hast du das gehört? Dieses Mädchen bezahlt doch wahrhaftig Einkommensteuer!«
»Hm«, hörte man eine brummige Männerstimme im Innern der Wohnung. Die Frau platzte fast vor Neugier, sie leckte nervös ihre Lippen, holte tief Atem und legte dann in einem nicht mehr aufzuhaltenden Redeschwall los: »Also wissen Sie, unser Herrgott weiß, daß ich nicht zu den Frauen gehöre, die ihre Nasen in die Angelegenheiten der Nachbarn stecken. Leben und leben lassen, das ist meine Devise. Was mich angeht, so kümmere ich mich nicht darum, was die Framley tut, solange sie uns in Ruhe läßt. Wissen Sie, gerade neulich hab' ich noch zu meinem Mann gesagt: Weiß der Himmel, was aus unserer Welt noch einmal werden wird, wenn Frauen wie die nebenan die Nacht zum Tage machen und die sie besuchenden Männer die ganze Nacht über in der Wohnung behalten. Möchte bloß wissen, was die treibt! Arbeiten tut sie bestimmt nicht, denn sie steht nie vor elf oder zwölf Uhr vormittags auf. Und ich möchte wetten, daß sie in keiner Nacht vor zwei Uhr ins Bett kommt. Natürlich will ich damit nichts gegen das Mädchen gesagt haben; schließlich sieht sie ganz nett aus, außerdem macht sie einen ruhigen, zurückhaltenden Eindruck und was man sonst noch so feststellen kann. Aber...«
Endlich gelang es mir, den Redefluß zu unterbrechen: »Wo kann ich sie jetzt sprechen?«
Mit dieser Frage waren die Schleusen der Beredsamkeit schon wieder geöffnet. »Wissen Sie, ich möchte nochmals klarstellen, daß ich keine von denen bin, die viel über andere Leute reden. Ich persönlich kann es mir auch nicht leisten, mich in diesen Glücksspielsälen herumzutreiben. Ich habe gehört, daß die Spielautomaten so raffiniert gebaut sind, daß man sein Geld genauso gut gleich zum Fenster hinauswerfen kann. Ja, und das Mädchen habe ich öfter vor den Automaten im Cactus Patch stehen sehen, wenn ich spazierenging. Sie warf eine Münze nach der anderen in die Apparate ein und drehte wie wild an den Handgriffen. Beruf hat sie natürlich keinen. Möchte wissen, ob sie je einen gehabt hat. Aber daß die Framley so ein Leben führt — wo sie doch ein so nett und anständig aussehendes Mädchen ist — und nun sagen Sie auch noch, daß sie sogar Einkommensteuer bezahlt, also wissen Sie, ich muß schon sagen! Wieviel hat sie denn gezahlt?«
Sie schoß die letzte Frage mit einer solchen Geschwindigkeit auf mich ab, daß die einzelnen Worte ineinander überklangen.
Hinter der Frau wurden Schritte hörbar. Ein Mann mit leicht hängenden Schultern, kragenlosem Hemd und offener Weste, die von der eingefallenen Brust abstand, schlürfte herbei. Er schob seine Lesebrille von der Nase auf die Stirn und starrte mich wie eine Eule an, die plötziich ms Licht schaut.
»Was will der?« fragte er.
Zwischen Daumen und Zeigefinger hielt er eine Zeitung, in der er offenbar die Sportseite gelesen hatte. Sein Gesicht zierte ein traurig herabhängender schwarzer Schnurrbart. In seinen Filzpantoffeln erweckte einen friedlichen und gemütlichen Eindruck.
»Der Herr möchte wissen, wo er Miss Framley finden kann.«
»Warum sagst du es ihm denn nicht?«
»Ich bin doch gerade dabei«, antwortete sie und war über die Einmischung ihres Mannes nicht gerade erfreut. Doch der schob sie einfach zur Seite und sagte kurz angebunden: »Versuchen Sie es mal im Cactus Patch.«
»Und wo ist das?«
»Das ist eins der großen Kasinos in der Hauptstraße, in dem steht ein Glücksautomat neben dem anderen. Sie können es gar nicht verfehlen. Und nun komm rein, Mutter, und kümmere dich um deine Arbeit. Was unsere Nachbarin tut, das ist ihre Sache und geht uns nichts an.«
Dann zog er seine Frau in die Wohnung zurück und schlug mir die Tür vor der Nase zu.
Es war nicht
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