Treffpunkt Las Vegas
Marmor. Ihre Nase war lang und gerade mit fast durchsichtig scheinenden Nasenflügeln.
»Ich freue mich, Sie kennenzulernen, Mr. Lam. Es wird uns ein besonderes Vergnügen sein, für einen Freund von Arthur Whitewell alles zu tun, was in unseren Kräften steht. Wollen Sie nicht bei uns wohnen, solange Sie in Las Vegas sind?«
Diese Einladung war selbstverständlich nur eine Höflichkeitsfloskel. Hätte ich sie angenommen, dann hätte eines der drei Familienmitglieder ein Notquartier beziehen müssen. Man erwartete von mir auch keine Zustimmung. Deshalb entgegnete ich nur: »Tausend Dank, aber ich werde voraussichtlich nur ein paar Stunden hier sein und dabei sehr viel zu tun haben. Es ist sehr liebenswürdig von Ihnen, mir Ihre Gastfreundschaft anzubieten.«
In diesem Augenblick betrat die Tochter das Zimmer. Ich hatte das Gefühl, als habe die Familie draußen vor der Tür gestanden und den Auftritt jedes einzelnen zeitlich genau abgestimmt, wobei jedes Familienmitglied sorgsam darauf achtete, nicht den Eindruck zu stören, den die anderen machten.
Mrs. Dearborne übernahm es, mich auf die übliche Art vorzustellen: »Eloise, ich möchte dir hier Mr. Lam aus Los Angeles vorstellen.«
Eloise war unverkennbar die Tochter ihrer Mutter: die Nase ebenso lang und gerade, nur mit noch nicht ganz so durchsichtigen Nasenflügeln. Sie hatte blaue Augen und kastanienbraunes Haar. Ihre Figur war gertenschlank, und aus ihrem Wesen sprachen der gleiche Lebenshunger, die gleiche Selbstzucht der Mama. Diese beiden Frauen besaßen genau den Schuß Jägerblut, den weibliche Draufgänger stets haben. Eine Katze, die sich träge und wohlig vor dem wärmenden Kaminfeuer räkelt, wirkt genauso sanft und ornamental wie ein Pelzbesatz am weißen Hals einer schönen Frau. Die weichen Samtpfoten bewegen sich geräuschlos und sanft. Aber trotzdem sind die scharfen Krallen da, und eben weil sie versteckt sind, sind sie so gefährlich. Ein Hund zieht seine Krallen nicht ein, sie dienen ihm auch nur dazu, spielerisch einen Knochen auszubuddeln. Die Katze jedoch tarnt ihre spitzen Krallen, die zur messerspitzen Waffe werden können, wenn es darauf ankommt, ihr Leben zu verteidigen.
»Wollen Sie nicht wieder Platz nehmen?« fragte Mrs. Dearborne, als hätte ich ein paar übliche Höflichkeitsphrasen vor mich hin gemurmelt
Wir nahmen alle Platz. Schweigend musterte man mich.
Es war klar, daß alle drei bei der bevorstehenden Unterredung anwesend sein wollten. Nicht etwa, weil man Odgen nicht zugetraut hätte, einen vernünftigen und zusammenhängenden Bericht über die Besprechung mit mir zu liefern, sondern weil die Familie Dearborne nun einmal so geartet war, daß sie niemandem traute. Jeder wollte alle Informationen aus erster Hand. Deswegen waren auch alle drei wie verabredet zur Stelle.
Ich kam nun zur Sache und begann: »Ich werde Sie nicht lange aufhalten. Mir geht es nur darum, etwas über Helen Framley zu erfahren.«
»Da werde ich Sie enttäuschen müssen, denn ich weiß praktisch gar nichts«, antwortete Odgen.
»Das ist ausgezeichnet, dann vergessen Sie wenigstens keine Einzelheiten«, konterte ich bewußt humorvoll.
Odgen mußte daraufhin auch lächeln. »Nun ja, um es genauer zu schildern: Ich ging hin...«
Jetzt schaltete sich Mrs. Dearborne ein: »Ich denke, Odgen, es würde Mr. Lam am dienlichsten sein, wenn du bei deinem Bericht chronologisch vorgehen würdest.«
»Ja«, mischte sich nun auch Eloise ein, »du fängst am besten mit dem ersten Anruf von Mr. Whitewell an.«
Odgen machte sich erst gar nicht die Mühe, diesen Vorschlägen zuzustimmen. Er nahm sie vielmehr schweigend als eine Selbstverständlichkeit hin und begann: »Mr. Whitewell rief mich von Los Angeles aus an. Wir sind mit seiner Familie schon seit längerer Zeit gut bekannt. Eloise lernte Philip vor einem Jahr in Los Angeles kennen. Er hat uns auch schon mehrmals hier besucht und hat sich in Los Angeles meiner Schwester angenommen. Wie Sie wissen, ist Arthur Philips Vater. Er ist...« Odgen warf seiner Mutter einen schnellen Seitenblick zu, aber da sie ihn offensichtlich nicht ermunterte, seinen Satz zu beenden, sagte er statt dessen: »Er kommt ziemlich oft hier vorbei, um bei uns einen gemütlichen Abend zu verbringen.«
»Was sagte Mr. Whitewell am Telefon?« fragte ich.
»Er erzählte mir, jemand namens Framley habe Corla Burke einen Brief geschickt. Ich sollte auskundschaften, wer Framley sei und was in dem Brief gestanden habe. Der Brief
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