Treffpunkt Parzelle 4: Nur die Freundschaft zählt (German Edition)
schwang sich auf sein Rad. »Bis später also.«
Karo bog in den schmalen Kiesweg ein, der zu Frau Erichsens Garten führte. Es war einer dieser ersten warmen Sommertage, an denen sich alles so leicht anfühlte. Die Mittagssonne hatte schon richtig Kraft und wärmte ihre noch blassen Beine. Heute hatte sie zum ersten Mal ihre Shorts aus dem Schrank geholt. Einige Hummeln umschwirrten geschäftig einen üppigen Hibiskus, der mit seinen prächtigen pinkfarbenen Blüten lockte. Und von einem nahezu perfekten Kletterbaum, der aber leider – von Gartenzwergen gut bewacht – im falschen Garten stand, schwadronierte ein Eichelhäher so laut und schrill, als wäre er hier der Chef vom Ganzen. Das Gras und die Hecken leuchteten in saftigem sattem Grün, sodass man am liebsten hineinbeißen wollte. Nein, das war wirklich kein Wetter, an dem man sich die Laune von irgendwelchen Geldsorgen vermiesen lassen sollte. Karo sog die Sommerluft tief in sich auf. Sollte doch Mama sich die Sorgen alleine machen. Und wenn sie eben nicht mitfuhr! Jetzt wollte sie erst mal diesen sonnigen Nachmittag mit ihren Freunden genießen.
Als sie sich Frau Erichsens Garten mit dem kleinen dunklen Holzhaus näherte, hörte sie aus dessen Inneren bereits aufgeregtes Bellen. Eilig schloss sie die dunkelgrüne Holztür auf, und schon kam Bodo herausgeschossen und sprang in freudiger Erwartung an ihr hoch. Bodo war ein kleiner rotbrauner Cockerspaniel, den Frau Erichsens erwachsene Söhne ihr vor einigen Jahren geschenkt hatten, als ihr Mann gestorben war. Bestimmt hatten sie das getan, damit sie nicht ein derart schlechtes Gewissen haben mussten, wenn sie ihre Mutter so selten besuchten, dachte Karo. Denn Frau Erichsen bekam nicht allzu häufig Besuch. Bodo kannte Karo gut, weil sie schon oft mit ihm spazieren gegangen war. Das tat sie zum einen, weil sie gern selbst einen Hund gehabt hätte. Zum anderen freute sich die Nachbarin, die nicht mehr so gut zu Fuß war, wenn Karo ihr das Gassigehen hin und wieder abnahm.
Als sie Bodo angeleint hatte und gerade mit ihm losziehen wollte, tauchte am Nachbarzaun ein speckiger grünbrauner Cordhut auf. Karo stöhnte. Sie wusste, was jetzt kam. Der Hut saß auf dem Kopf von Herrn Buschschlüter. Ihm gehörte das Nachbargrundstück, auf dem er penibelst schaltete und waltete. Kein Hälmchen Unkraut war vor ihm sicher, ihm, dem Schrecken aller Maulwürfe, Schnecken und Raupen. Ohne Karo zu begrüßen, wetterte er gleich los:
»So geht das aber nicht weiter! Der Köter kläfft von früh bis spät. Das ist ja nicht auszuhalten! Und denk bloß nicht, dass der hier unsere schönen Wege vollschittern kann. Das sind hier doch keine Hundekackwege. Dass das klar ist!«
Karo setzte ihr strahlendstes Nachbarlächeln auf und rief betont freundlich zu ihm rüber: »Guten Tag, Herr Buschschlüter! Schön, Sie zu sehen. Ist das nicht ein herrliches Wetter?«
»Unverschämte Göre! Denk bloß nicht, dass ich mir das bieten lasse.«
Was an dieser freundlichen Begrüßung ihrerseits unverschämt sein sollte, blieb Karo rätselhaft. Aber sie ließ ihn einfach stehen und beschloss, sich auch von ihm nicht ihre gute Sommerlaune vermiesen zu lassen.
Pünktlich um drei trudelten Bruno, Jo und Wolle ein. Die vier Freunde gingen alle in die sechste Klasse von Frau Krieger. Bruno und Karo kannten sich allerdings am längsten. Um genau zu sein, seit ihre Mütter mit ihnen auf der Entbindungsstation gelegen hatten. Bruno wohnte nur ein paar Straßen weiter allein mit seiner Mutter. Seinen Vater sah er nur sporadisch, weil er in einer anderen Stadt wohnte und geschäftlich viel unterwegs war. Karos Mutter war quasi so etwas wie eine Tagesmutter für Bruno gewesen, und so waren Karo und Bruno fast wie Geschwister aufgewachsen. Natürlich waren sie auch in denselben Kindergarten gegangen und in dieselbe Grundschule. Und wenn Brunos Mutter mal übers Wochenende wegmusste, blieb Bruno bei Karo und ihren Eltern. Bruno war fast noch besser als ein Bruder, fand Karo, die selbst auch keine Geschwister hatte. Denn die Brüder ihrer Freundinnen waren immer nur anstrengend und nervig.
Aber mit Bruno konnte man einfach Pferde stehlen oder auch ganz normal über alles reden – wie sonst nur mit einem Mädchen. Deshalb war er besser als ein Bruder. Ein Bruderfreund eben.
Jo hieß eigentlich Johanna und hatte besagte Nervbrüder. Gleich zwei davon, einer älter, einer jünger als sie. Und irgendwie war Johanna selbst ein bisschen wie ein Junge.
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