Treffpunkt Parzelle 4: Nur die Freundschaft zählt (German Edition)
sie ihn diesmal direkt ansah, hatte er seine Augen gerade ziemlich sinnlich geschlossen. »…when I need love I hold out my hands and I touch love«, säuselte es aus den Boxen.
Dann knackte es unüberhörbar. Die Nadel tanzte über eine kleine Unebenheit. Bruno hob den Kopf und fragte: »Habt ihr das auch rausgenommen, das Knistern?«
Wenn ihre Gesichtsfarbe bisher noch nicht bei Kaminrot angelangt war, dann jetzt bestimmt, dachte Karo und wollte erschrocken ihre Hand zurückziehen. Aber Devin hielt sie fest. Er hatte die Augen wieder geöffnet und blickte Bruno lächelnd an.
»Das ist nur ein Testlauf, Alter! Der Song ist so gut. Den könnte ich glatt noch einmal hören.«
Bruno kniff die Augen ein wenig zusammen. Er starrte auf Karos Hand, die in Devins lag, und dann auf die Schallplattenhülle vor ihnen auf dem Tisch. »… it‘s cold out but hold out and do like I do …«, knisterte es erbarmungslos weiter.
»Emotions! Ja, ne, is’ klar!« Bruno zog angewidert die Nase hoch. Und mit einem Seitenhieb auf den Songtext bemerkte er: »Zum Glück ist es draußen gerade nicht kalt. Denn zum Aushalten ist das hier nicht wirklich.«
Er stieß seinen Stuhl zurück und lief zu Jo und Bodo in den Garten. Karo sah ihm zerknirscht hinterher. Hörte das denn nie auf?
Da kam Wolle mit dem Teetablett aus der Küche und sagte hocherfreut: »Oh, Leo Sayer ! Brennt ihr gerade die Platte für meine Tante? Ganz schön kitschig, was? Aber die Musik ist total geil!«
Und Leo Sayer trällerte unbeirrbar: »… it‘s only a heartbeat away …«
Es war schon erstaunlich, wie viele Kunden sie für sich gewinnen konnten. Sie rührten kräftig die Werbetrommel, und jeder fand irgendjemanden in seinem Umfeld, der ihnen einen Auftrag gab.
Jos Vater entpuppte sich als alter Jazzliebhaber. Er brachte gleich zweiundzwanzig Schallplatten eigenhändig in den Garten. Jo hatte vorgeschlagen, sie auf dem Fahrrad für ihn mitzunehmen.
»Um Gottes willen!«, hatte er gerufen. »Was ihnen da alles zustoßen kann! Ist es überhaupt sicher genug in Parzelle 4 ? Vielleicht muss man da erst mal ein anständiges Sicherheitsschloss anbringen.«
Jo behauptete allen Ernstes, ihr Vater würde sich mehr Sorgen um diese Jazzplatten machen als um seine Tochter. Sie selbst hatte schließlich ohne langes Gebettel dort übernachten dürfen. Es schien wirklich ein großer Vertrauensbeweis zu sein, dass er ihnen seine kostbare Sammlung anvertraute.
Als Karo Frau Erichsen am Tag nach ihrer Operation im Krankenhaus besuchte – es war, Gott sei Dank, alles gut verlaufen – und ihr stolz von der neuen Geschäftsidee der Parzelle 4 berichtete, war diese gleich Feuer und Flamme. Sie hatte nämlich früher, als sie noch jung verheiratet war, regelmäßig mit ihrem Mann die Oper besucht. (Und das, obwohl er doch so ein Geizknochen war, wie Frau Erichsen erzählt hatte.)
Sie besaß jedenfalls viele alte Opern- und Operettenschallplatten wie Carmen oder Der fliegende Holländer . Die hatten sie auch in späteren Jahren, als sie wegen der Kinder weder Zeit noch Geld hatten, um die Oper zu besuchen, immer wieder mal aufgelegt. Bis schließlich der alte Schallplattenspieler seinen Geist aufgab. Zu der Zeit war längst das Zeitalter der CD s angebrochen, und so kauften sie sich keinen neuen Plattenspieler mehr.
»Später hat der Robert mir einen CD -Player geschenkt«, erzählte Frau Erichsen. »Aber den weiß ich heute noch nicht zu bedienen. Und was nützt der auch schon? Meine alten Operettenplatten kann ich auf dem nicht abspielen. Ach, wenn ich die alle noch mal hören könnte, bevor ich sterbe …«
Karo fand es seltsam, dass alte Leute immer so selbstverständlich vom Sterben sprachen. So, als machte es ihnen überhaupt nichts aus. Das fand sie gruselig, aber auch irgendwie beneidenswert. Karo selbst fand die Vorstellung, dass sie oder ihre Eltern eines Tages würden sterben müssen, einfach unerträglich. Vielleicht würde sie als alte Oma ja auch mal so cool sein.
Frau Erichsen sollte aber nun wirklich kein Geld fürs Plattenaufnehmen bezahlen, fand Karo. Was wären sie schließlich ohne ihren Garten? Sie beschloss, sie mit ein paar gebrannten CD s zu überraschen. Sie konnte ihr vielleicht ihren tragbaren CD -Player mit Kopfhörer leihen und ihr ein paar CD s ins Krankenhaus bringen. Schließlich hatte sie ja noch ihren Wohnungsschlüssel zum Blumengießen. Bestimmt stand ihre Plattensammlung irgendwo im Wohnzimmer herum.
Einer ihrer besten Kunden
Weitere Kostenlose Bücher