Treffpunkt Unendlichkeit
Viertelstunde bin ich wieder da.«
Er fand, daß das hier seine schönste Handelsstation war. Die Portale und technischen Anlagen waren im Innern des Berges verborgen. In den sanften Hängen wuchsen Bäume mit dichten Laubkronen. Man sah und hörte keine Menschenseele.
Man war allein mit der Natur. Und die Randzone wurde so gut bewacht, daß kein Fremder eindringen konnte.
Falsch. Es gab jemand, der trotz der Wächter hereinkam. Aber Lanchery fand es lächerlich, die Frau als eine Gefahrenquelle zu betrachten.
Ein bläulicher Schimmer zeigte sich zwischen zwei Stämmen, und in seinem Licht konnte er ihre Gesichtszüge erkennen. Alles andere war sofort vergessen. Er rief ihren Namen und begann zu laufen.
»Allyn! Allyn!«
Und da war sie wieder.
Der bläuliche Schimmer rührte von ihren Kleidern her. Sie trug einen Mantel mit hohem Kragen, der ihren Kopf wie eine Strahlenkrone umgab, dazu eine Jacke und lange Hosen, die sie weich umflossen. Sie sah ihn müde an, rührte sich aber nicht vom Fleck.
Lanchery spürte einen stechenden Schmerz – nicht ihrer Schönheit wegen, obwohl ihr Gesicht zart war und die fließenden blauen Gewänder eine ebenmäßige Gestalt umhüllten. Weit schönere Frauen rissen sich um die Gunst von Handelsfürsten wie Lanchery, und er nützte diese Tatsache gern aus. Nein, der Grund lag nicht in ihrer körperlichen Schönheit.
Er blieb ein paar Schritte vor ihr stehen, obwohl er sie am liebsten berührt hätte, um sich zu vergewissern, daß sie wirklich da war. Aber der stechende Schmerz lähmte ihn. Er merkte, daß er rasselnd atmete und daß sich sein Puls beschleunigte. Mühsam suchte er nach Worten.
»Hat es geklappt, Hal?« fragte sie mit ihrer heiseren Stimme, die ihm eine Gänsehaut verursachte.
»Waren sie einverstanden?«
»Ah – oh …« Er war wütend über sich und seine ungelenke Zunge. Wie konnte ihn eine Frau so befangen machen? Er holte tief Atem und festigte seine Stimme. »Ja, Allyn. Sie waren einverstanden. Und alles geht gut voran.«
»Du weißt, was auf dem Spiel steht, nicht wahr?«
»Ja. Es ist ein hoher Preis.«
Ein kehliges Lachen, das irgendwie unheimlich klang. »Glaubst du mir nicht, Hal? Glaubst du nicht, daß du Lykens Konzession bekommen wirst, wie ich es dir versprochen habe?«
»Aber natürlich! Du hast mir gezeigt, wie es sich durchführen läßt. Sobald Lyken schwächer wird, ist meine Position unantastbar. Aber …«
»Ja?« Das Wort schien in der Luft nachzuhallen, und er begann zu zittern. Doch dann stieß er die Fragen hervor.
»Aber weshalb vertraue ich dir, Allyn? Ich weiß nicht einmal, wie es dir gelingt, mein Konzessionsgebiet zu betreten.«
Sie lachte. »Du vertraust mir, weil ich vertrauenswürdig bin, Hal. Das ist alles. Dein Instinkt führt dich. Deine Intuition. Und warum solltest du dich nicht auf sie verlassen?«
Die Worte sagten eigentlich nichts Konkretes, aber neue Zuversicht erfüllte Lanchery, als er sie hörte. Es war, als hätte er eine Droge genommen.
»Wirst du bleiben?« fragte er.
»Nein.«
Er breitete hilflos die Hände aus und sagte beschwörend: »Allyn! Wie lange soll das noch so weitergehen? Du kommst und gehst wie ein Phantom. Ich denke jeden wachen Augenblick an dich, und nachts träume ich sogar von dir.«
Allyn war wie ein Nebel vorwärts geglitten. Nun stand sie so nahe, daß er die Hände ausstrecken und sie berühren konnte. Aber er tat es nicht. Seine Arme waren steif, und nur sein Herz schlug noch.
Sanft und leicht wie ein Windhauch und doch knisternd wie ein Blitzschlag berührten ihre Lippen die seinen. Er schloß die Augen. Einen Moment lang schwebte er am Rande eines unvorstellbaren Abgrundes.
Als er die Augen wieder öffnete, war sie verschwunden.
*
Jörne Knard fand es am besten, an andere Dinge zu denken, wenn er seine nächtliche Runde machte und den Kokon, die Nährlösungen, die Gewebeerneuerer und das Rho-Funktionsfeld überprüfte. Er hatte noch nie einen Fehler entdeckt. Er konnte es sich leisten, an andere Dinge zu denken, während seine Hände und Augen sich mit der Patientin beschäftigten. Er mußte an andere Dinge denken. Er konnte den Haß im Raum spüren, wenn er sich nicht ablenkte.
Er wagte es nicht, den Haß auszulöschen. Noch nicht. In den ersten Wochen nach dem Brand, als Allyn Vages Leben nur an einem Faden gehangen hatte, war dieser Haß ihr einziger Lebensimpuls gewesen. Sie hatte ihre Persönlichkeit um diesen Haß aufgebaut. Knard mußte warten, bis er
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