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Treibgut - 11

Treibgut - 11

Titel: Treibgut - 11 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Witzko
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immer noch der Gesang der Sklavin zu hören war, mittlerweile so bebend, daß sie kaum einen Ton mehr richtig traf.
    Liva schritt über den Hof, blieb in seiner Mitte stehen und ging in die Hocke. Auf dem Boden sah er eine Raupe, fast so lang wie sein kleiner Finger, deren Farbe im schwachen Licht nicht auszumachen war. Auf dem Rücken der Raupe saß ein Käfer, es sah aus, als ritte er auf ihr. Liva kannte solche Tiere aus seiner Heimat. Er wußte, daß der Käfer einen Stachel in die Raupe gebohrt hatte und seine Eier in ihr ablegte. Maden würden daraus schlüpfen und die Raupe von innen heraus auffressen. Sie würde keinen Schmerz dabei empfinden und nicht merken, daß sie langsam starb, schließlich würde nur noch eine leere Hülle von ihr übrigbleiben, tot und vertrocknet, die der nächste Wind wegwehen würde. Insofern unterscheiden sie sich, dachte Liva. Er richtete sich wieder auf, setzte den Fuß auf Käfer und Raupe und zerquetschte beide mit einer Drehung des Ballens. Ohne zurückzusehen, ging er zum Sklavenquartier. Es gab so wenig Wärme in dieser heißen Stadt.
     
    Diese verunglückte nächtliche Suche nach Nähe brachte Fremdheit in das Verhältnis von Querinia und Liva. Plötzlich hatte sich eine Kluft zwischen ihnen aufgetan, und in den nächsten beiden Tagen vermieden sie es, einander zu begegnen oder Blicke zu wechseln. Querinia erschien es, als wolle Liva sie für etwas bestrafen, dessen sie sich nicht bewußt war. Liva hatte nun niemanden mehr, mit dem er sprach, deshalb dachte das Mädchen, sein Verhalten würde sich irgendwann wieder ändern. Sie müßte nur warten, dann würde er ihr wieder von der Stadt aus rosafarbenem Marmor, ihrem tapferen Fürsten und dem goldenen Drachen erzählen.
    Es waren geschäftige Tage, denn die Ankunft des Gastes rückte immer näher. Es wurde geputzt und gewaschen, aus der Küche drangen die köstlichsten Düfte von Gebratenem und Gebackenem. Liva war an diesen Tagen damit beschäftigt, den beiden Kindern ein Gedicht beizubringen, das sie zu Ehren des Besuchers aufsagen sollten. Ein mühseliges Unterfangen.
    Am Vormittag des dritten Tages mußten alle Sklaven, ob jung oder alt, im Herrschaftshof antreten. Sie kannten den Grund hierfür nicht, dachten aber, der Herr oder die Herrin wollten ihnen letzte Anweisungen für den bevorstehenden Besuch geben.
    Tatsächlich hatte sich etwas anderes zugetragen, von dem die Sklaven der Familie Gordovanaz allerdings nichts wußten. Eine Ungeheuerlichkeit sondergleichen war ruchbar geworden, die ein Sklave seinem Herrn in der Hoffnung auf Belohnung aufgedeckt hatte! Man hatte eine auswärtige Priesterin des Hesindetempels gefangengenommen und angeklagt, etliche Sklaven der Stadt Wissen gelehrt zu haben, das ihnen nicht zustand. Unter den kundigen Händen der Folterknechte hatte diese Rahjalieb aus dem fernen Imrah ihre Untat rasch eingestanden und, bevor Boron ihre Seele gnädig zu sich nahm, jeden Namen ihrer Schützlinge preisgegeben sowie die Haushalte genannt, denen sie angehörten. Daraufhin hatte man ihre Eigentümer benachrichtigt, damit sie nach ihrem Gutdünken verfahren konnten.
    Nun standen die versammelten Sklaven der Familie da und warteten geduldig auf die Herrschaften, die bald auf dem Umlauf erschienen. Daß der Anlaß ein anderer war als der erwartete, merkten die Sklaven erst, als unter den Arkaden die drei Beschützer mit gezückten Knüppeln und Nestorio mit der langen Peitsche hervortraten.
    »Ich bin euch ein gnädiger Herr«, sprach Marno, »und meine Gemahlin und ich waren euch immer wie Eltern, wie ein liebevoller Vater und eine warmherzige Mutter. Und dennoch« – seine Stimme wurde laut und hart – »hat eine von euch gegen unseren Willen verstoßen und uns ihren Undank ins Gesicht geschleudert!« Er schüttelte theatralisch den Kopf. »Derlei können wir nicht dulden, und deshalb muß zu euer aller Wohl das undankbare Geschöpf bestraft werden. Also tritt vor …« Er hielt inne, horchte, was Imelde ihm ins Ohr flüsterte, und fuhr fort: »… Querinia!«
    Erschrocken trat das Mädchen aus der Reihe der Sklaven nach vorn, blieb stehen und starrte mit offenem Mund ihre Herrschaften an. Erst als Marno ungeduldig zum zweiten Mal das Zeichen gegeben hatte, kam endlich die traditionelle Floskel über ihre Lippen, die sie noch nie gesprochen hatte: »Du bist gnädig zu mir, und ich danke dir für das, was du mir zufügst.« Ihre Stimme war kaum zu hören.
    Gleich darauf stieß sie Nestorio zum

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