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Treibgut - 11

Treibgut - 11

Titel: Treibgut - 11 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Witzko
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sagte sie und wandte den Kopf so rasch, daß die vielen kleinen Zöpfe ihres Haars einen Herzschlag lang wie Speichen von der Nabe eines Rades von ihrem Haupt abstanden.
    Die weibliche Hälfte der Hochgeschwister des Tuzaker Tempels empfing Scheïjian in einem der oberen Gemächer des Turmbaus. Der Raum war mit gemusterten dunkelroten Teppichen ausgelegt, bedruckte Tücher hingen wie Wolken von der Decke. Steif wie eine Statue saß die Priesterin auf einem niedrigen Schemel, vor sich ein Tischchen mit einer Kanne und zwei Schalen Tee. Sie trug das gelbe und purpurne Gewand ihres Amtes sowie die Gapuzza, jene mit kleinen Holzplättchen besetzte Lederhaube, die einem durchschnittenen Helm maraskanischer Krieger so ähnlich ist. Ihre straff nach hinten gekämmten und an der Stirn wie zwei Halbmonde ausrasierten schwarzen Haare schauten darunter hervor. »Leider ist der Tee schon etwas kalt«, begrüßte sie Scheïjian, »ich hatte dich früher erwartet.«
    Scheïjian verbeugte sich und nahm ihr gegenüber Platz, ohne sich seine Erheiterung anmerken zu lassen. Es war eine gelungene Eröffnung, denn die Priesterin hatte ihn unmöglich heute erwarten können. »Ich wurde aufgehalten.« Er ging auf das Spiel ein.
    Unwillkürlich verglich er sie mit Querinia. Milhibethjida war fünf oder sechs Jahre jünger als Querinia, noch ein Kind, aber wie gut sie es verstand, mit einer achtlos hingeworfenen Bemerkung zu finten und zu beeindrucken! Selbst wenn Milhibethjidas Amt sie nicht zu einem der mächtigsten Menschen Maraskans gemacht hätte, so hätten immer noch Welten zwischen ihr und Querinia gelegen, denn Milhibethjida besaß das ganze Ausmaß an Persönlichkeit, um das die Sklaverei Querinia beraubt hatte. Wo jene nur wie ein Stück Treibgut den Strömungen des Seinsflusses ausgeliefert war, schwamm dieses soviel jüngere Mädchen mühelos darin. Ihre eigene Priesterschaft lobte sie in den höchsten Tönen, und wenn es stimmte, was man sagte, raunten die Geweihten sich sogar zu, daß Milhibethjida einst als bedeutender gelten werde als selbst der weise Zendajian. Aber auch das war nicht alles.
    Scheïjian hatte erlebt, wie dieses Kind vor kaum einem Jahr hinter verschlossenen Türen allein mit dem Zweiten Finger und Endijian, dem Renegaten, die Zukunft Asborans ausgehandelt hatte, jener Stadt, von der niemand wußte, ob und wo sie erbaut werden würde. Keiner der drei hatte jemals mehr als unbedingt nötig von dieser Verhandlung berichtet. Doch seither waren sechzehn Mitglieder von Priesterschaft und Bruderschaft in alle Welt hinausgezogen, den Bauort Asborans zu finden; seither warb Endijian innerhalb der Bruderschaft für seine ›Krieger Tsas‹, die den Exodus begleiten sollten; seither war zu beobachten, daß der ehemalige Wezyrad der Bruderschaft nur noch mit Ehrfurcht von der kleinen Priesterin sprach.
    »Ich habe dich herbestellt, weil ich deine Dienste verlange«, eröffnete Milhibethjida das Gespräch und verbesserte sich, als Scheïjian mit einem leisen Auflachen reagierte. »Nicht deine üblichen Dienste, mörderischer Magus, sondern weil du etwas für mich herausfinden sollst.«
    »Entschuldige, Hohe Schwester«, erklärte Scheïjian, »dies ist nicht der Grund für mein Lachen, sondern deine Weise zu reden: Ich habe herbestellt, ich verlange, du sollst … Das ist nicht die Art, wie man Geschäfte mit der Bruderschaft aushandelt. Auch sollst du wissen, daß ich mein eigenes Anliegen hatte, dich aufzusuchen.«
    Ohne zu antworten, erhob sich Milhibethjida, trat zu einem stoffverhangenen Gestell und zog das Tuch fort, so daß ein Gemälde sichtbar wurde, vier Spann breit und drei hoch. Es zeigte einen leicht gerüsteten Reiter in prunkvollem Reliefpanzer, auf dem nackten Unterarm einen Falken, am Sattel einen frischgejagten Hasen, gefolgt von fünf Rittern in voller Gestechrüstung und posaunenblasenden und zimbelschlagenden Musikanten. Augenscheinliches Ziel dieser Gruppe war eine Festgesellschaft im Freien. Lange weißgedeckte Tische unter knorrigen Bäumen waren da gemalt, im Hintergrund sah man einen Fluß und eine Stadt.
    Fasziniert beugte sich Scheïjian vor. Er hatte noch nie einen derart hoheitsvoll blickenden Vogel gesehen – und was den Unterarm des Reiters anbelangte, so hatte ihn sein Besitzer bestimmt von einem Oger geborgt, denn kein Mensch konnte so viele und so kraftstrotzende Muskeln am Unterarm haben wie der Reiter auf dem Bild, schon gar nicht ein so junger Mensch, denn der Abgebildete war kaum

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