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Treibgut - 11

Treibgut - 11

Titel: Treibgut - 11 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Witzko
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Tarrad leise, »gerade eben siebzig Meilen im Norden, rotten sich Wanderarbeiter und Tagelöhner zusammen, einige landlose Adlige sollen zu ihnen gestoßen sein. Da ich aus Norden kam, ein Bauer bin, jedoch eine gewählte Redeweise gewohnt bin, war man sofort überzeugt, ich könne nur ein Aufwiegler sein, nach Neetha gekommen, um auch hier die Revolte anzuzetteln. So einfach war das.«
    Als sie das Stadttor hinter sich hatten, kam Scheïjian wieder auf seine Frage zurück: »Ich möchte dennoch wissen, warum Ihr diesen Zauber nicht bemerkt habt und darauf besteht, ein Bauer zu sein.«
    Nachdenklich antwortete der andere: »Ich habe der Kunst abgeschworen, nachdem ich meinen Turm verlassen hatte. Ich begab mich zu dieser Seite des Kontinents, wo ich nun bei Kuslik einen Hof mit einigen Freunden bewirtschafte. Ich bin kein Magier mehr. Doch da Ihr so viel über mich zu wissen scheint – wer seid Ihr?«
    »Einer Eurer Schüler.«
    »Ich hatte viele Schüler und Schülerinnen zu meiner Zeit.«
    »Aber diesen Schüler dürftet Ihr kaum vergessen haben, Bruder«, entgegnete Scheïjian in breit maraskanisch gefärbtem Akzent. »Wie kommt es überhaupt, daß Ihr noch lebt?«
    Wie von der Tarantel gestochen, wich Tarrad zurück. Er starrte auf die Gestalt, allem Anschein nach nur eine harmlose ältliche Frau in einem etwas zu weiten Umhang. Doch er wußte plötzlich sehr genau, wer sich hinter dieser Erscheinung verbarg und daß jener weder ältlich noch harmlos war, ganz gewiß nicht harmlos, allenfalls so harmlos wie eine zischelnde Viper. Er erinnerte sich an seine letzte Begegnung mit diesem Menschen, die fast zehn Jahre zurücklag. Er befand sich wieder in seinem Turm irgendwo im Land der Ersten Sonne, wo er einen jungen Adepten gehabt hatte, der sich Rurech nannte und von Maraskan kam. Ein gelehriger, doch niemals offener junger Bursche, der stets etwas zu verbergen schien. In einem kurzen Augenblick der Unbeherrschtheit, der sein weiteres Leben von Grund auf verändert hatte, war er, Tarrad, beim abendlichen Mahl in die Gedanken des Adepten eingedrungen, um das eifersüchtig gehütete Geheimnis des Burschen zu ergründen. Was er sah, war wie ein Blick in Borons Augen. Noch bevor Tarrad richtig erfaßt hatte, welch mörderisches Geschöpf er in seinem Turm beherbergte, erkannte er in den Augen des maskenhaften Gesichts, daß sein Gegenüber genau wußte, was er eben getan hatte. Er wollte etwas erklären, kam nicht mehr dazu, denn das Messer flog bereits und bohrte sich ihm in den Hals. Während ihm das Blut aus der Kehle lief und seine Sinne langsam schwanden, hatte er ihn noch sagen hören: »Diese Tür hättest du nicht öffnen sollen, Tarrad, sie führt dich zu Tsa.«
     
    »Und jetzt bist du gekommen, um zu vollenden, was du damals nicht vollbracht hast, nach all der Zeit?« fragte Tarrad.
    »Ach was«, entgegnete Scheïjian, »es hat mir in den Jahren, da ich Euch für tot hielt, keinen Schaden gebracht, daß Ihr es nicht wart. Warum sollte es mir jetzt schaden? Eure Zeit, der Schwester zu begegnen, war augenscheinlich noch nicht gekommen. Warum sollte ich mich im nachhinein in die Ratschlüsse Borons des Milden einmischen? Ihr wart zufällig in der Nähe, als ich ein leidiges Geschäft zu verrichten hatte, deshalb habe ich Euch und die anderen befreit. Wenn Ihr mir nun behilflich sein könntet, diese Verwandlung zu beenden? Es ist etwas auffällig, als Kaiserin dieses Landes die Straßen zu bewandern.«
    »Ich sagte dir bereits, daß ich mich abgewendet habe von der Kunst!«
    Scheïjian preßte die Lippen verbittert zusammen und wirkte den Zauber selbst. Anschließend zitterte er am ganzen Leib, denn die verschwenderische Zauberei der letzten Tage hatte seine magische Kraft fast bis zur Neige ausgeschöpft. Mit braunen Schatten unter den Augen, doch wieder in seiner wirklichen Gestalt, fragte er: »Dann erklärt mir wenigstens, wie dieser Sinneswandel zustande kam.«
    Während sie sich auf der Straße nach Norden weiter von Neetha weg entfernten, erzählte Tarrad mit einer Stimme, in der alter Schmerz lag: »Meine Gründe werden dir nicht gefallen, Rurech, da sie all dein Streben nutzlos machen. Ich hatte eine Vision auf der Schwelle des Todes. Ich sah ein verdorrtes Land, und ich sah eine der bedeutendsten Akademien als verkohltes Gemäuer. Schreckliche Wesen durchschritten seine Trümmer, lederflügliges Dämonengezücht, von solcher Art und Menge, wie ich sie mir niemals hätte vorstellen können. Und ich

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