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Treibgut - 11

Treibgut - 11

Titel: Treibgut - 11 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Witzko
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Handwerkern, da sein Ziel im Westen lag. In diesen Tagen der Wanderschaft litt er unter der Speise des Landes, denn was vorgab, süß zu sein, war nie wirklich süß, was behauptete, scharf zu sein, erschien ihm fad. Man aß hier völlig anders als auf Maraskan. Bisweilen schaute er zurück. Er war sich sicher, daß die Priesterin Ishajid ihm folgte und in der Nähe war, und fragte sich, ob sie wohl bemerkt hatte, daß er für einige Stunden ein anderer gewesen war. Doch er sah sie nie.
     
     
     

 
     
    Eine spannende Frage ist die nach der Gestalt der Götter. Ich meine damit nicht jenen Teil, den wir nicht verstehen können, sondern die Gestalt, unter der sie verehrt werden. Etwa den Jaguar mit dem unaussprechlichen Namen, den die Mohas als ihren Gott verehren, oder die bekannten Gestalten der Zwölfgötter, also Firun den Bären, Peraine die Störchin oder Rondra die Löwin. Ich fragte einmal Raschid, ob er sich vorstellen könne, daß es auf einer der abgelegenen Inseln des äußersten Südens ebenfalls rondratreue Kämpen geben könne. »Was spricht dagegen?« fragte er mit seinem üblichen Mißtrauen, wenn ich ihn mit einer für ihn nicht gerade naheliegenden Frage überfiel.
    »Es gibt dort keine Löwen, sie wissen nicht einmal, was Löwen sind«, erklärte ich ihm.
    »So?« sagte er. »Aber Rondra ist überall, das ist gewiß!«
    »Sicherlich«, lenkte ich ein, »aber wenn sie von der Göttin kein Bild haben, wenn sie sie sich nicht vorstellen können, wie sollen sie sie dann verehren? Jeder Herrscher, jede Fürstin lassen ihr Abbild auf Münzen schlagen, damit die Untertanen wissen, wer sie regiert. Doch wenn man nur von der Leuin hört, ohne zu wissen, was eine Leuin ist, was tut man dann?«
    »Jetzt, da du es sagst …«, brummte Raschid. »Ich meine gehört zu haben, daß man auf diesen Inseln überhaupt nicht rondragerecht kämpft. Stell dir vor, statt mit dem hehren Stahl und deiner, nun ja … nicht ganz so hehren Magie kämpfen sie mit Gift! Sie bewerfen sich gegenseitig mit Schlangen, mit giftigen Schlangen, die sich im Körper des Getroffenen festbeißen und ihn jämmerlich zu Tode bringen!«
    »Furchtbar!«
    »Ja, furchtbar, und ganz und gar nicht im Sinn der Leuin!«
    »Aber seltsam.«
    »Wieso seltsam?«
    »Nun«, erklärte ich, »gilt nicht die Schlange als Sinnbild Hesindes? Wenn sie also mit Schlangen nacheinander werfen, heißt das dann nicht, daß sie sich gegenseitig mit Weisheit erschlagen?«
    »Scheïjian!« mahnte er mich mit sichtlichem Unbehagen. »Gift- und Würgeschlangen gelten gemeinhin nicht als Sinntiere der Weisen Göttin!«
    »Ja, Raschid«, setzte ich nach, »jetzt stell dir aber eine winzige Insel vor, auf der es keine Löwen gibt und keine einzige Schlange, die nicht giftig wäre. So etwas muß es geben, bei uns zu Hause sind nicht einmal die Käfer harmlos.«
    Finster funkelnd und mit einem Gesichtsausdruck, der zeigte, daß er ab sofort gegen jedes weitere Argument taub sein würde, beendete Raschid den Disput: »Du schwatzt, Scheïjian, du schwatzt!«
    Nichtsdestotrotz finde ich die Frage spannend, und wäre ich ein Zwölfgöttergläubiger, so wäre es eine offene Frage, ob ich statt Boron oder Tsa nicht Bruder Phex als verehrungswürdigste Gottheit erwählen sollte. Das hängt damit zusammen, daß für uns Maraskaner Phexens Gestalt nicht die eines Fuchses ist, sondern die eines Mungos.
    Eine Bauernlegende erzählt von der Zeit, als die Zwölfgeschwister sich noch nicht getroffen hatten und sich gegenseitig fremd waren. Man sieht daran, daß es eine Legende sein muß, denn bekanntlich sammelte Rur die Geschwister um sich, bevor er den Weltendiskus warf. Zu dieser Zeit jedenfalls war Phex nicht mehr als der kleine Bruder Rondras. Seine mächtige Schwester lenkte zwar die Schlachten, ihrem kleinwüchsigen Verwandten überließ sie aber den Kampf der einzelnen. Als sich unter diesen jedoch die ersten echten Helden und Reckinnen fanden, geschah etwas in vielen Familien Verbreitetes, daß sich nämlich die große Schwester plötzlich brennend dafür interessierte, was sie ihrem kleinen Bruder bisher bereitwillig überlassen hatte, daß sie sich allmählich immer stärker in seine Domäne einmischte und diese endlich ganz für sich vereinnahmte.
    So kam ein Tag, da der tapfere kleine Phex mürrisch und unzufrieden durch die Wälder strich und Hesinde traf, die sich ewig windende Weisheit, die er noch nicht kannte. Wie es die Art des kühnen Mungos ist, stellte er sie zum

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