Treibgut - 11
sah mich selbst, kopfüber an das Tor meines Turmes gekrampt, vor mir eines dieser unheiligen Wesen, in einer Klaue mein noch zuckendes Herz, in einer anderen meine Augäpfel. Ich wußte, daß mir ein Blick in künftige Zeiten gestattet worden war, daß es keine Zeiten sein würden, da es noch lohnte, ein Magier zu sein. Ich glaube nicht, daß es nur ein wirrer Traum war, ich weiß, daß es so kommen wird. Ich weiß es, auch wenn du mich deswegen verspotten wirst, Maraskaner.«
Scheïjian hatte den Mund schiefgezogen und schüttelte heftig den Kopf: »Wer bin ich, um zu spotten, Tarrad? Ich weiß, daß Ihr recht habt. Euere Vision ist der Grund, warum ich in diesem Land bin. Ihr habt die Heerscharen Dharzjinions erblickt, des verfluchten Bethaniers, genannt Borbarad. Alles, was Ihr saht, ist wahr, und ich sage Euch, es war nur ein kleiner Teil dessen, was kommen wird.«
Tarrad war stehengeblieben: »Borbarad? Der ist seit Jahrhunderten tot!«
»Ach ja?« antwortete Scheïjian trocken. »Dachte ich nicht ähnliches von Euch?«
Die Worte gaben Tarrad viel Stoff zum Nachdenken; endlich fragte er: »Was führt dich in diese Gegend? Wird er sich hier offenbaren? Trotz allem mag ich nicht glauben, daß du dich seinen Vasallen anschließen willst.«
Scheïjian spuckte in den Staub: »Bei der Schönheit der Welt, welch bruderloser Gedanke!« Er entschied sich, Tarrad einen Teil der Wahrheit zu erzählen: »Ich suche eine Priesterin der Zwillinge, die vermißt wird. Sie muß an diesem Ort gewesen sein, denn man fand etwas aus ihrem Besitz bei einem Mann, der sich hier aufgehalten hat. Es gibt jemanden, der sich um sie sorgt. Wie Ihr bemerkt, gehe ich gelegentlich auch anderen Geschäften nach.«
»Eine eurer Priesterinnen?« entgegnete Tarrad. »Wie merkwürdig, ich sah eine vor nicht allzu langer Zeit und wunderte mich, da sie sich so weit von eurer Insel entfernt hatte.«
»Mit Zöpfchen und sehr blauen Augen? Ihr müßt sie dieser Tage gesehen haben, doch die meine ich nicht.«
»Dann scheint es zwei zu geben. Denn die, von der ich rede, hatte kurzgeschorenes Haar, auch sah ich sie nicht hier, sondern in Kuslik, vor einigen Monden.«
»In Kuslik?« rief Scheïjian aus. »Wo?«
Tarrad zuckte die Schultern: »In einer Straße ohne Besonderheit. Die Priesterin fiel mir auf, weil sie einen ungewöhnlichen Anblick bot in diesem Teil der Welt, doch ich habe nicht weiter auf sie geachtet.«
»Ich fürchte, Meister Tarrad«, stellte Scheïjian fest, »Ihr werdet meine Gesellschaft noch für einige Tage ertragen müssen, da wir denselben Weg haben.«
Zwei Tage dauerte die gemeinsame Reise, dann war Tarrad bei Scheïjians Erwachen verschwunden. Sein ehemaliger Schüler mochte es ihm nicht verdenken.
Also legte er seinen Weg nach Norden allein zurück, durch das strauchige leere Land des südlichen Lieblichen Feldes mit seinen langhörnigen halbwilden Rinderherden. Bisweilen, wenn man ihm vertraute, nahm ihn jemand auf seinem Gefährt ein Stück mit, da man in dieser gefährlichen Gegend einen zusätzlichen Begleiter zu schätzen wußte, bisweilen gab man bei seinem Anblick den Tieren aber einfach die Peitsche. In den seltenen Dörfern begegnete ihm allerlei Volk auf dem Weg nach Süden, häufig ein Menschenschlag mit wieselflinken harten Augen, mit überzeugtem Brustton und raschen Entschlüssen, ein Menschenschlag, der niemals zögerte, der immer recht hatte (oder zumindest so tat), den nur eins interessierte, der nur einen Glauben hatte und nur eine Philosophie kannte: die des schnellen Goldes im aufblühenden Süden des Horasreichs.
Hinter Methumis, wo es tatsächlich eine Bunte Mauer gab, so wie Scheïjian sie Querinia vor fast vergessener und doch unheilvoll gegenwärtiger Zeit geschildert hatte, schloß er sich fünf Glasbläsergesellen auf der Walz an. Ihr Ziel war Grangor, die Inselstadt ganz im Norden des Landes. Sie hatten es eilig, dorthin zu gelangen, da aus dem Osten wilde Gerüchte von den aufsässigen Landarbeitern drangen. Es hieß, sie rüsteten sich, nach Vinsalt zu marschieren, was ein Weiterkommen nach Grangor auf diesem Weg unmöglich gemacht hätte, eingezwängt zwischen dem Mob der Aufständischen und den heranrückenden Söldnern der Kaiserin.
Es machte sich gut, gemeinsam zu reisen, auch wenn die Gegend jetzt ihre Ödnis verloren hatte. Dorf reihte sich an Dorf. Für eine Weile entkam Scheïjian der Einsamkeit dessen, der nie der sein konnte, der er war. Er trennte sich in Arivor von den
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