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Treibgut - 11

Treibgut - 11

Titel: Treibgut - 11 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Witzko
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aussah, als würde bald ein allgemeines Hauen und Stechen einsetzen, entwirrte sich dieses undurchschaubare Knäuel: Alle fanden so zueinander, wie es ohnehin vorgezeichnet gewesen war, und der Garküchenbube bekam seine Bellarita, die er doch auch gleich hätte haben können, ohne jemals nach Vinsalt zu reisen.
    Dieses grauenhafte Stück wäre vielleicht gerettet worden, wenn die Akteure zwischendurch andere Handlungsmöglichkeiten erläutert hätten, oder auch durch einen längeren Monolog am Schluß. Der Junge hätte etwa darauf bestehen können, daß er die Garküche der Tyrannei des Vaters vorzog, der Kaufmann erklären müssen, warum er seinen Nebenbuhler nicht einfach vergiften ließ – oder der Ritter hätte den Kaufmann erschlagen, aus Reue sein Hab und Gut verschenken und selbst Garkoch werden können. Mir mißfiel das Stück außerordentlich. Ich halte es mehr mit den allgültigen Gesetzen Dschindzibers von Cavazoab: Wahre Kunst drückt die Dichotomie der Welt aus und ist rätselhaft wie die Schöpfung Rurs. Oder so ähnlich.
    Nach der Aufführung und immer noch unter der Wirkung des Zaubers, der meine Aura verhüllte, zog ich mit einer ausgelassenen Gruppe durch die Schenken Kusliks. Man hat manchmal ein sonderbares Gefühl, und bei mir wurde es im Lauf des Abends immer stärker, der Eindruck nämlich, daß mir jemand folgte. Ich achtete deshalb darauf, wer mit uns aufbrach und am gleichen Ort einkehrte. Als ich mir ziemlich sicher war, stellte ich einen Weißblonden mit weit auseinanderstehenden Augen zur Rede. Er behauptete, nicht zu wissen, wovon ich spräche. Ich erklärte, ich wisse es dagegen um so genauer, und erwog bereits, dafür zu sorgen, daß dieses Hinterherschleichen ein Ende nähme – nein, kein endgültiges, nur ein zeitweiliges –, da meinte er: »Ihr seid ein hübscher Mann!« Und ließ mich stehen. Auch eine Erklärung. Um aber sicherzugehen, wechselte ich alsbald die Gesellschaft, schloß mich einer anderen Gruppe an und wechselte sie abermals. Ich achtete so sehr darauf, ob uns jemand folgte, daß mir etwas anderes entging. Bis ich schließlich einschlief, was weder an der Müdigkeit noch am Wein lag.
     
     
     

 
     
    Als Scheïjian erwachte, lag er fast nackt auf einen Tisch gefesselt, einen Knebelstab zwischen den Zähnen. Er hörte Stimmen, die manchmal beinahe zeitlos langsam sprachen, ein andermal mit koboldischer Schnelle, sah Gestalten, die wuchsen und schrumpften. Sie standen um ihn herum. Als seine Benommenheit etwas nachgelassen hatte, erkannte er in ihnen die beiden Frauen und die drei Männer, mit denen er zuletzt getrunken hatte. Er sah zwar ihre Gesichter nicht, die von Masken verhüllt waren, erkannte sie aber an ihren Gewändern. Erwartungsvoll und aufgeregt hüstelnd und mit ihrer Kleidung raschelnd, schauten sie auf ihn nieder.
    Eine sechste Person stand bei ihnen, ohne Larve. Die Schädelwölbung des Mannes war kahl, doch sein restliches aschblondes Haupthaar hing ihm offen hinab bis zur Brust. Über einem roten Untergewand trug er eine halbgeschlossene lange Robe, silbern bestickt mit den magischen Zeichen des Geistes und der Macht, das Gewand eines Beherrschers.
    »Nun, da dieses Exemplarum wieder zur Besinnung gekommen ist«, sprach er zu den anderen, »mag die Demonstration zu Eurer Erbauung und vergnüglichen Ergötzung beginnen.«
    Er fing an, eine Zauberformel zu rezitieren und preßte die Hand auf die Brust des Gefangenen. Schon nach der ersten Silbe bäumte sich Scheïjian auf und zerrte wie besessen an seinen Fesseln. Er beherrschte diesen borbaradianischen Zauber ebenfalls, auch wenn er ihn nie am lebenden Objekt praktiziert hatte, und wußte, was er bewirkte. Er würde ihn von all seinen Sinnen trennen, würde ihn einschließen in sich selbst, und dort, ganz drinnen, würde er nur noch das vorfinden, vor dem er sich am meisten fürchtete.
    Und warum sollte das geschehen? Zum Spaß. Nur zum Vergnügen würde diese Gesellschaft mitanhören, wie er seine Ängste hinauskreischte, nur zur Belustigung würden sie beobachten, wie sich sein Gesicht vor Furcht verzerrte, nur zur Unterhaltung würden sie miterleben, wie sein Verstand immer mehr der Wirklichkeit entfloh und in die dunklen Gemäuer des Wahnsinns verschwand. Wie Kinder, die einem Käfer die Beine ausrissen, nur zum Spaß.
    »Verflixt!« knurrte der Beherrscher mit einer steilen Falte auf der Stirn, als sein Spruch keine Wirkung zeigte, und starrte böse auf sein doch nicht so gefügiges Opfer.

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