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Treibgut - 11

Treibgut - 11

Titel: Treibgut - 11 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Witzko
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eines einst wohlhabenden Königreiches. Desselben Reiches, das den Buchdruck erfand, den Stoffdruck, das Parkett, eine weit überlegene Schmiedekunst und das sich ein fremder Herrscher so selbstverständlich aneignete wie die reife Frucht eines Baumes am Wegesrand. Hast du sonst noch Fragen?«
    Die peinliche Betroffenheit im Gesicht des Schusters machte ehrlicher Entrüstung Platz. »Das hat das Geschmeiß also auch gestohlen?« rief er erbost. »Diese verdammten Thorwaler und Andergasten!« Damit ging er fort.
    »Was?« zischte ihm Ishajid verdutzt hinterher. Sie schaute Scheïjian an. Der erwiderte ratlos ihren Blick und machte dann eine wischende Bewegung vor der Stirn. Sie setzte sich wieder, fast gleichzeitig mit einer pausbäckigen sommersprossigen Frau, die sich vom Nachbartisch herüberbewegt hatte und nun ihnen gegenüber Platz nahm. Sie roch nach Fisch und Tang.
    »So, so, aus Kendrar seid ihr«, erklärte sie. »Schlimm soll’s dort zugehen, seitdem es das Geschmeiß gestohlen hat. Ich weiß das, ich habe einen Vetter in Lervik.« Sie wurde leiser. »Sagt, stimmt es, daß man dort keine Steuern mehr entrichten muß?« Mit dunkelfunkelnden Augen sah sie die beiden Südländer erwartungsvoll an.
    »Ihr scheint etwas mißverstanden zu haben, Schwester«, begann Scheïjian.
    »Ho, ho, Bürschchen, so vertraulich sind wir nun auch wieder nicht, auch wenn ihr aus Kendrar seid!« belehrte ihn die Frau.
    »Wenn Ihr meint«, seufzte er, »doch wo immer dieser Flecken liegen mag, wir kommen nicht von dort.«
    »Einen Flecken nennt ihr Kendrar?« erhitzte sie sich. »Einen Flecken! Unser stolzes Kendrar, das uns die Thorwalschen stahlen – genauso wie Salza im Vierundsechziger Jahr – und das sie immer noch halten, im Gegensatz zu Salza, dank der Sappenstiel! Die hat’s ihnen gegeben! ›Basta!‹, hat sie gesagt. ›Basta!‹, kaum mehr als ein Jahr her, und ist wie eine Harpyie über sie hergefallen. Wie die Hasen sind die Thorwälzer gerannt, als die Posaunen schallten: ta-taa, ta-taa!« Schwungvoll wischte sie einen der Krüge vom Tisch. Im hohen Bogen flog er auf den Platz, zerbarst, vertrieb einige Hunde, die nach dem ersten Erschrecken zurücktrotteten, um zu erschnüffeln, welch kostbare Gabe ihnen das Schicksal hatte zuteil werden lassen.
    »Ihr wart offenbar dabei?« meinte Scheïjian.
    »Behüte! Aber so erzählt man sich’s.«
    »Und stimmen tut’s!« mischte sich vom Nachbartisch ein weiterer Gast ein. »In der ›Posaune‹ stand’s, ich hab’s mir vorlesen lassen.«
    Leidvoll vertraut mit solchen Gesprächsverläufen, erklärte Scheïjian bestimmt: »Wie auch immer, wir kommen nicht von dort. Wir sind nicht einmal aus Nostria, wir sind Fremde.«
    »So?« sagte die Frau spitz und fuhr sich durch das honigbraune Haar. »So seht ihr tatsächlich nicht aus. Woher dann? Doch nicht etwa aus … An-der-gast?« So wie sie es aussprach, klang es wie ein Ort gleich rechts der Niederhöllen.
    »Nein, aus Maraskan«, versuchte es Scheïjian ein weiteres Mal.
    Das Mißtrauen im Gesicht der Sommersprossigen wich gutmütiger Überheblichkeit: »Ach, zwei Albernierlein!«
    Scheïjian seufzte: »Auch nicht. Maraskan ist eine Insel, völlig unbedeutend und abgelegen. Ihr könnt sie nicht kennen.«
    »Weit weg?« fragte sie erstaunt. »So weit wie Havena?«
    »Wo finnza dammteres Havena ma’sarrar, schazak?« knurrte Ishajid.
    »Noch viel, viel weiter«, beantwortete Scheïjian die Frage der Pausbäckigen und mit den Worten »Wir sind dran vorbeigesegelt« diejenige Ishajids.
     
    Später bemerkte die Priesterin: »Wo sind wir hier bloß hingeraten?«
    Ihr Begleiter antwortete: »Du kannst ähnliches in den Tavernen und Teehäusern unserer Exilanten in Khunchom oder Festum erleben, vor allem wenn am selben Tisch die Anhänger unterschiedlicher Exilregierungen sitzen. Nur sind das dann eben keine ganzen Länder, sondern Trinkhäuser.« Er entnahm seinem Gepäck ein Bündel: »Ich werde jetzt den Prinzen aufsuchen.«
    »Wann wirst du zurück sein?«
    »Ich weiß es nicht. Kommt ganz darauf an, wie formell man hier ist. Vielleicht erhalte ich auch bloß einen Termin für eine Audienz.«
     
    Der kürzere Teil des Weges war der von der Stadt zur Burg. Sie war das älteste Gemäuer, das Scheïjian jemals gesehen hatte, älter als alles Menschengeschaffene, das es auf seiner Heimatinsel gab. Bei mancher Mauer war dem Auge nicht mehr ersichtlich, ob sie überhaupt von Menschenhand erbaut worden oder nicht schlichtweg

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