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Treibgut - 11

Treibgut - 11

Titel: Treibgut - 11 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Witzko
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zuvor gefürchtet hatte, nahmen sie und Scheïjian Platz. Im Raum herrschte Düsternis, da Licht nur durch Ritzen und den Spalt der Eingangstür in den geschlossenen Fensterläden drang.
    »Da haben die Leute in diesem Land schon keine Vorstellung davon, was echtes Licht ist, und dann sperren sie das wenige, das sie haben, auch noch aus«, bemerkte Scheïjian kopfschüttelnd.
    Die Wände des Raumes waren mit einer verblaßten Stofftapete bespannt, von der zahlreiche Fäden wie Spinnweben herabhingen, oben an der Decke hatten sich sogar ganze Bahnen gelöst, verrottender Müll lag stinkend auf dem Boden, so daß das offenbar einst wohlhabende Gebäude nun ärmlicher wirkte als ein von jeher armes Haus. Über der Eingangstür prangte ein Wappen, es zeigte einen Hasen.
    Nicht wegen dieses wenig heldenhaften Wappentiers mußte Scheïjian grinsen, sondern weil er sich an seinen Freund Raschid erinnerte.
     
    »Ich behaupte nicht, daß ich es glaube, aber ich behaupte auch nicht, daß ich es nicht glaube«, hatte der Krieger eines Abends das Gespräch eröffnet, während er eines der langohrigen Geschöpfe enthäutete.
    »Was denn, Raschid?« hatte Scheïjian geantwortet.
    »Es soll eine Gegend geben, wo man es für Praioslästerung hält, Hasen zu essen – wegen der Ohren.«
    »Niemand ißt Hasenohren, Raschid. Von mir aus kannst du sie haben, ich mag sie auch nicht.«
    »Darum geht es nicht, Scheïjian. Sie sagen, weil sie überall herumsitzen und horchen, und so lange sitzen bleiben, bis man fast auf sie tritt … Nun, es heißt« – er verfiel in ein Flüstern –, »sie belauschen uns, weil sie die Spitz… die Beobachter des Herrn Praios sind.«
    Scheïjian hatte damals herzhaft gelacht und geantwortet: »Da gibt es noch andere, die lauschen: Esel, Pferde, Vögel, Eidechsen. Aber die Allerschlimmsten, Raschid, die Allerschlimmsten sind unsere maraskanischen Kakerlaken. Solche Käfer, sag ich dir! Und da sie selten freiwillig verschwinden, müssen sie wohl Praios’ eifrigste Lauscher sein!«
    »Du schwatzt schon wieder, Scheïjian!« hatte Raschid damals gebrummt.
     
    Scheïjian leitete seine Gedanken in die Gegenwart zurück. Er sah zu Ishajid hinüber, deren Kopf im Nacken lag, die ihren Schnitter auf den Schenkeln wog und gedankenverloren mit dem Daumen an seinem Griff schnippte. Er sann darüber nach, daß er seinen Freund schon lange nicht mehr gesehen hatte und wie oft er sich vornahm, ihn aufzusuchen, um es dann doch nicht zu tun. Mein halbes Leben besteht aus Dingen, die ich tun wollte und nie tat, dachte er, plötzlich schwermütig. Er nahm sich vor, seinen Entschluß dieses Mal in die Tat umzusetzen, vorausgesetzt, er hätte noch genügend Zeit, bis Borbarad zurückgekehrt war und seine Gegenwart enthüllte. Scheïjian hatte keine Zweifel, was die Enthüllung für Raschid bedeuten würde: Er würde sein Schwert ergreifen und unverzagt im Namen seiner Göttin als einer der ersten in diesem aussichtslosen Kampf fallen, so daß er genauso tot wäre wie Querinia. Der Gedanke an diese Unvermeidlichkeit ließ eine spontane Mordlust in Scheïjian aufsteigen, für die es weder Ziel noch Opfer gab.
    Die Tür öffnete sich, und der Narbengesichtige schaute in den Raum: »Tommelian hat mich angewiesen, euch vorzulassen, weil er euch etwas über eure Freundin berichten kann.«
    Sie erhoben sich von ihren Stühlen und folgten ihm durch zwei Räume hindurch in einen dritten. In keinem der beiden Gemächer gab es natürliches Licht, entweder lagen sie völlig im Dunkeln oder waren von Lampen erhellt. Das galt auch für den letzten Raum.
    Er war größer als die übrigen. Vorhänge ließen auf Ausgänge zu weiteren Räumen schließen, Fetzen einer Ledertapete hingen von den Wänden, von der Decke gefallene Stuckbrocken lagen auf dem Boden, die Ölfunzeln warfen viel zu große Schatten. Der bis zum Boden reichende Vorhang eines der Fenster war einen kleinen Spalt geöffnet und ließ eine Lichtbahn herein, in der Staub tanzte. Der Lichtstrahl endete bei einem nierenförmigen Tischchen, hinter dem, die Beine übereinandergeschlagen, die Arme verschränkt, vermutlich der Herr des Hauses saß, ein Fünfziger im Morgenmantel mit Spitzbart und verlebtem Aussehen. Er rekelte sich in einem breiten Sessel, der gefährlich ächzte. Neben ihm stand ein zweiter Mann.
    Als Ishajid diesen erblickte, krampfte sich ihre Hand unwillkürlich um Scheïjians Handgelenk. »Der war dabei, als sie mich entführen wollten!« sagte sie

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