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Treibgut - 11

Treibgut - 11

Titel: Treibgut - 11 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Witzko
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Mistviecher«, erklärte Ishajid. »Sollen sie doch rennen, wohin sie wollen. Zum Glück haben wir ihnen unsere Packen abgenommen.«
    Aufgrund der Erlebnisse der vergangenen drei Tage schloß sich Scheïjian widerstandslos ihrer Meinung an.
    Zu Fuß kehrten die beiden Fremdlinge in diesem fremden Land in das Städtchen zurück und setzten alsbald ihre Suche im Umland fort. Sie erkundigten sich nach der Priesterin in der Turmfeste auf dem Hügel und trugen ihre Frage von einem der verstreuten Landsitze zum anderen. Manche dieser Anwesen lagen leblos verlassen, in anderen fanden sie nur einen Verwalter oder eine Verwalterin vor, die allein oder mit wenigen Knechten die Gebäude vor dem Verfall bewahrten, wieder andere waren fröhlich belebt von Besitzern und Dienerschaft. Am zweiten Tag wurden sie fündig, an dem Tag, da auf ihrer Heimatinsel und in den Städten des Festlands, wohin vor Jahrzehnten die Kinder des Eilands vor den kaiserlichen Eroberern geflüchtet waren, der erste Tag des neu angebrochenen maraskanischen Jahres gefeiert wurde, woran aber weder Scheïjian noch Ishajid dachten.
     
    Von ferne sah der steinerne Leichnam des zerfallenden Gebäudes nicht so aus, als lebe darin jemand, den die beiden befragen könnten, als lohne es sich allenfalls nachzuprüfen, ob die von der Krankheit geschwächte Priesterin in seinem Gerippe Schutz gesucht und eine Spur hinterlassen hatte.
    Das Haus war aus gelblichem Sandstein erbaut, die hohen Fenster waren größtenteils mit verwitterten Holzläden verschlossen, und die Mauer, die es umgab, wies große Lücken auf. Ein triumphaler, aber zerbröckelnder und durch den Verfall nutzlos gewordener Steinbogen hatte einst Zutritt zum Haus gewährt. Beidseitig war er von quadrigen Sockeln flankiert, auf denen die Stümpfe zerborstener Schmuckamphoren standen und von denen Scheintreppen ins Nichts führten. Sowohl auf dem Bogen als auch auf dem Dach des Gebäudes hatten kleine Büsche und Gras ihre Wurzeln geschlagen, Bäume mit kugeligen Laubkronen standen darum herum, irgendwo schlug ein Laden rhythmisch im Wind auf und zu. Ein Hirtenjunge, dessen Ziegenherde in der Nähe graste, hatte Ishajid und ihrem Begleiter erzählt, das Haus sei bewohnt.
    Sie betraten das Anwesen durch eine Mauerlücke. »Ich mag solche Ruinen nicht«, erklärte Ishajid. »Sie kommen mir immer so vor, als hätten sie ihre ehemaligen Bewohner nie ganz verlassen, als spukten ihre Seelen, statt zu Boron und Tsa gegangen zu sein, immer noch als Geister darin herum.« Sie schüttelte sich. Scheïjian warf ihr einen unwilligen Blick zu, da ihre Worte ein leichtes Frösteln auch bei ihm hervorgerufen hatten.
    »Was wollt ihr Gestrolch hier?« fragte eine Stimme barsch. Sie gehörte einem stämmigen Mann, der im Gegensatz zu anderen Verwaltern mit einem Kurzschwert bewaffnet war. Sein spitzes gelbliches Gesicht war von einem Geflecht kleiner Narben überzogen, ein äußerst spärlicher langborstiger Schnurrbart, der diese Bezeichnung allenfalls im Gegenlicht der sinkenden Sonne verdient hätte, hatte sich wie ein selbständiges schmarotzendes Wesen auf der Oberlippe angesiedelt, die lange gelbe Vorderzähne entblößte. Dies alles und seine gesamte Körperhaltung gaben ihm das Aussehen einer in die Ecke gedrängten Ratte. Genauso beschrieb Ishajid die Erscheinung auf Maraskani.
    Als habe er dem unverständlichen Kauderwelsch eine Höflichkeit entnommen, entspannte sich der Mann. »Ihr seid fremd hier?« fragte er fast schon freundlich, ohne daß dadurch sein Aussehen liebenswürdiger geworden wäre. Ishajid nickte bestätigend. »Wir suchen eine Frau, eine Freundin, die möglicherweise hier war und genauso gekleidet ist wie ich«, sagte sie und deutete auf ihr Gewand.
    Der Rattengesichtige dachte nach, als hätte Ishajid ihm eine überaus schwere Frage gestellt, und antwortete: »Ich werde lieber Tommelian fragen, der hier das Sagen hat.« Er schlurfte mit gesenktem Haupt voran, die eintönige gelbe Hausfront entlang, vorbei an einem großen Wagenrad, das gegen die Wand lehnte und dem einige Speichen fehlten, zum Eingang, dessen Tür mit einem Stein blockiert war. Er drückte sie auf, ein scharrendes Geräusch erzeugend, und führte die Besucher ins Innere des Gebäudes, wo er sie im Eingangsraum warten hieß, bevor er durch den schmalen Spalt einer halboffenen hohen Tür in einem Nachbarraum verschwand. Auf wackeligen Stühlen, deren zerschlissene Polsterung das Geisterdasein führte, vor dem sich Ishajid

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