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Treibgut der Strudelsee

Treibgut der Strudelsee

Titel: Treibgut der Strudelsee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Hoffmann
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Punkte begannen vor seinen Augen zu tanzen. Sadagar schrie, wagte sich aber keinen Schritt näher heran.
    Mythor sah das Ende der Planken vor sich. Zwei, drei Fuß trennten ihn und Oblak noch vom gischtsprühenden Abgrund. Alles in ihm verkrampfte sich. Wieder fuhren seine Fäuste auf den Rücken des Untoten herab, mit einer Wucht, die einem Ochsen das Genick gebrochen hätte. Doch Oblak steckte die Schläge ein. Die Umklammerung seiner Arme wurde noch fester. Panik erfasste Mythor.
    »Nein!« schrie er gellend, holte weit mit dem rechten Fuß aus und setzte all seine Kraft in den Tritt. Oblak stieß einen heiseren Laut aus, als ihm die Beine weggerissen wurden. Sein Körper sackte nach unten, doch er klammerte sich fest. Mythor biss die Zähne aufeinander, hielt den Atem an und umfasste die Handgelenke des Gegners. Endlich gelang es ihm, sich freizumachen. Bevor die Arme des Untoten wieder zuschnappen konnten, brachte Mythor sich mit einem Satz zur Seite in Sicherheit. Er rutschte aus, sah, wie Oblak sich katzengleich zum Sprung duckte, und trat zu.
    Seine Stiefel trafen den Besessenen vor die Brust. Oblaks Augen weiteten sich, ein trockener Schrei kam über seine blutleeren Lippen. Der Untote fiel hart. Blitzschnell schob sich Mythor über die vereisten Planken, bis sich Oblak zwischen ihm und dem Meer befand. Noch einmal trat er mit Wucht zu, halb auf dem Rücken liegend und die Hände weit von sich gestreckt, um einen möglichst guten Halt zu bekommen.
    Oblak hatte nichts, woran er sich festklammern konnte. Er rutschte über das Eis. Für ein, zwei Augenblicke ruderten seine Arme wild durch die Leere. Dann fiel er. Ein grauenvoller, langer Schrei war das letzte, was jene, die inzwischen vom Kampfeslärm herbeigelockt worden waren und einen Halbkreis um die Gegner gebildet hatten, von ihm hörten.
    Schwer atmend lag Mythor da. Der Schweiß brach ihm aus den Poren, und sein Herz klopfte so heftig, als wolle es ihm die Brust sprengen.
    Für eine Weile war es vollkommen still an Bord, selbst das Heulen des Windes erstarb nun völlig, als sei die Luft erstarrt. Niemand sprach ein Wort. Niemand jubelte. Aller Augen waren auf Mythor und die Stelle gerichtet, an der Oblak eben noch gelegen hatte.
    Dann war es Steinmann Sadagar, der den Bann brach. Er stürzte auf Mythor zu, fiel neben ihm auf die Knie und schlang dem Gefährten die Arme um den Hals. »Du hast ihn besiegt, Mythor! Bei Erain, es ist vorbei!«
    »Du brauchst mich darum nicht gleich zu erdrücken«, sagte Mythor geistesabwesend. Er spürte, wie sich Blicke in seinen Nacken bohrten, und drehte langsam den Kopf.
    Rachamon stand vor ihm, in der Hand eine Öllampe. Und der Blick des Magiers war eisig, gnadenlos, und Furcht und Entsetzen schwangen in ihm mit, ein Grauen, das er nur mühsam unterdrücken konnte, als er nun die Hand hob und anklagend auf Mythor zeigte. »Nichts ist vorbei! Nicht Oblak allein war es, der das Schiff ins Verderben trieb!« Er stieß zwei Seefahrer an. »Packt euch den Verfluchten und werft ihn Oblak hinterher. Er besiegte ihn mit den Kräften des Bösen, das in ihm wohnt!«
    *
    Rachamon hatte gespürt, wie es stärker und stärker wurde, näher und näher kam: das nicht Greifbare, dunkler als die dunkelste Nacht. Es folgte dem Schiff wie etwas, das sich behutsam vortastete und doch mit einer unstillbaren Gier.
    Als die Seefahrer schrien und nach ihm riefen, war es da, irgendwo dort draußen in der Finsternis, und wartete. Rachamon, der niemals die Mächte der Finsternis zu beschwören versucht hatte, spürte, wie es seine unsichtbaren Fühler nach ihm ausstreckte. Irgend etwas war für kurze Zeit in ihm, tastete ihn ab, seine Seele, seinen Geist. Dann zog es sich so schnell zurück, wie es gekommen war.
    Aber es blieb in der Nähe der Fähre. Es suchte ein ganz bestimmtes Ziel, einen Menschen, der an Bord war.
    Nein, Rachamon gehörte nicht zu den Magiern, die bereit waren, einen Pakt mit dem Bösen zu schließen. Er hatte andere gesehen, die von den Mächten, die sie beschworen hatten, verzehrt wurden. Niemals würde er dies vergessen können. Und so war nicht die Versuchung in ihm, sich dieses Etwas nutzbar zu machen, um wieder Macht über die Elemente zu gewinnen, sondern blanke Angst.
    Er spürte wieder, wie die Schwärze näher kam, als er inmitten der Mannschaft stand und den Zweikampf beobachtete. Sie tastete sich vor, Rachamon konnte es fühlen und glaubte einmal, einen Schatten zu sehen, der über den Kämpfenden schwebte.

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