Treibgut
Rosa Taubitz ihr Elternhaus, das am Ortsrand von Adorf lag. Jackie, ihr Schäferhund, verlangte nach Auslauf. Egal bei welchem Wetter. Während sie ihn anleinte, dachte sie sehnsüchtig an ihr in der Küche stehendes Frühstück.
»Na, dann woll’n wir mal«, Ihre Stimme hörte sich heiser an. Wie das Gekrächz eines alten Weibes. Dabei war sie nicht einmal 70.
Dem Hund schien das egal zu sein. Mit wedelnder Rute eilte er voraus. Hauptsache er konnte endlich sein morgendliches Geschäft erledigen. Zunächst wählten sie den Weg durch die Siedlung. Obwohl es noch früh und die Straße menschenleer war, hielt Rosa ihn an der Leine.
Erst als sie auf den grün markierten Wanderweg außerhalb des Ortes einbogen, ließ sie Jackie laufen. Der stob davon wie ein Welpe. Nach einer Weile erreichten sie den Waldrand. Langsam folgte Rosa Taubitz dem ansteigenden Forstweg. Immer darauf bedacht nicht über eine der unzähligen Wurzeln zu stolpern. Die Luft war vom Regen der letzten Tage noch feucht und roch nach altem Laub und Fäulnis. Plötzlich hob Rosa den vor Anstrengung von einer feinen Schweißschicht bedeckten Kopf. Irgendetwas roch verbrannt, oder täuscht sie sich?
Von einer ihr unerklärlichen Unruhe erfasst rief Rosa nach ihrem Hund. Sie entdeckte ihn in einer Kuhle, in der er sich selig im Dreck wälzte.
»Jackie, komm da raus.« Doch ihr Ruf verhallte ungehört. »Jackie!« Da endlich bequemte sich der Hund, zu gehorchen. Rosa konnte ihm nicht böse sein. Selbst dann nicht, als sie ihn in langen Sätzen auf den Wald zujagen und im Unterholz verschwinden sah. Als er nach einer Weile nicht zurück war, beschloss Rosa, ihm zu folgen. Je tiefer sie in den Wald eindrang, desto matschiger wurde der Boden. Sie musste aufpassen, dass sie nicht ausrutschte. Während sie sich mit stoßweise gehendem Atem vorankämpfte, hörte sie das kehlige Knurren ihres Hundes. Es schien von der nahe gelegenen Waldlichtung zu kommen.
»Jack…« Der Anblick, der sich Rosa bei ihrem Eintreffen bot, ließ ihr die Stimme versagen und jagte ihr eine Hitzewelle über den Rücken.
Etwa 50 Meter von ihr entfernt stand ein völlig ausgebrannter Wagen. Die Kühlerhaube war von der Hitze deformiert. Durch Rauchschwaden erkannte Rosa einen verformten Mercedes-Stern. Als sie sich in kleinen, vorsichtigen Schritten dem von Glassplittern umgebenen Auto näherte, sah sie, dass auf dem Fahrersitz eine bis zur Unkenntlichkeit verkohlte Leiche saß. Voller Entsetzen starrte sie mit weit aufgerissenen Augen auf das grauenvolle Bild. Beißender Brandgeruch schlug ihr entgegen und ließ sie würgen. Trotz der Kälte klebte ihr die Kleidung an Schenkeln und Rücken. Jeder Atemzug erforderte Überwindung. Sie schloss die Augen, um nicht mehr hinsehen zu müssen. Doch nach einer Weile riss Jackies wütendes Gebell sie zurück in die Wirklichkeit. Sein Fell war gesträubt, die Muskeln angespannt. Nachdem es ihr mit zitternden Fingern gelungen war, die Leine an seinem Halsband zu befestigen, setzte sie mit ihrem Handy einen Notruf ab.
33
Sein Kopf fühlte sich an, als sei er gegen eine Betonwand gerannt. Hinter seinen Augen pochte und stach es qualvoll. Schon die kleinste Bewegung verursachte ihm Übelkeit. Wo war er? Henning hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Das Letzte, woran er sich vage erinnern konnte, war ein sich explosionsartig ausbreitender Schmerz, gefolgt von pechschwarzer Dunkelheit.
Als er die Augen das nächste Mal zu öffnen versuchte, nahm er über sich einen weiß gekleideten Schatten wahr. Henning brauchte einen Moment, bis er in den verschwommenen Konturen das lächelnde Gesicht einer Krankenschwester erkannte. Danach musste er erneut eingeschlafen sein.
Als er wieder erwachte, lag er in einem Einzelzimmer mit gedämpftem Licht und zugezogenen Gardinen. Diesmal war es ein Arzt, der sich zu ihm herabbeugte. »Wie fühlen Sie sich?«
»Ich weiß nicht, ich bin müde, mein Kopf tut weh …«
»Sie können von Glück reden, dass Sie noch am Leben sind.«
Henning war irritiert. »Was ist passiert?«
»Wir hatten eigentlich gehofft, dass Sie uns das sagen könnten«, entgegnete der Arzt, bevor er ihm mit ernster Miene eröffnete, dass er überfallen worden war. »Draußen steht übrigens ein Polizist, der mit Ihnen reden möchte.«
Kurz darauf betrat ein etwa 40-jähriger Polizeibeamter den Raum.
»Hallo, mein Name ist Schrödter«, sagte er in geschäftsmäßigem Ton, während er einen Stuhl heranzog und sich setzte.
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