Treibhaus der Träume
auch das schwierige Peeling, das sie bei der vor drei Tagen eingetroffenen Opernsängerin Lucie Haff machen wollte. Durch das ständige Schminken und Pudern auf der Bühne hatte die Haut Lucie Haffs sehr gelitten; sie war pickelig und schlaff, denn es ist ein Irrtum anzunehmen, daß viel Fett eine Haut straff erhält. Jede Haut ist anders und will individuell behandelt werden. Für Lucie Haff war Fett genau das Falsche, aber ihr Beruf verlangte von ihr, jeden Abend dick die Fettschminke aufzutragen.
Den ganzen Nachmittag und Abend saß Marianne im Hause Lorentzens und wartete. Ab und zu rief sie an. Die Sekretärin sagte immer das gleiche: »Der Chef ist im OP. Der Chef hat Besprechungen.«
Unruhig ging sie hin und her, machte kein Licht, sondern saß im dunklen Zimmer, händeringend und dem Weinen nahe. Von Dr. Thorlacht, den sie am Telefon angefleht hatte, ihr die Wahrheit zu sagen, hatte sie die Tragödie erfahren.
Ich gebe das alles auf, dachte sie in diesen langen Stunden. Wir werden wegziehen, irgendwohin, wo wir allein sind. Ich habe Geld genug, um unser Leben sorgenfrei zu gestalten. Aber dann begriff sie auch, wie widersinnig diese Gedanken waren. Nie würde Lorentzen ohne Arbeit, tatenlos, als Müßiggänger nur vom Geld seiner Frau leben. Sie kannte seine Antwort schon im voraus: »Bin ich ein Gigolo, der sich aushalten läßt? Ist es schon so weit mit mir?«
Also kämpfen, dachte sie. Sich durchboxen durch alle Schicksalsschläge. Den Kopf gesenkt, und dann vorwärts, wie ein Stier in der Arena.
Sie merkte nicht, wie wenig tröstlich dieser Vergleich war: Der Stier in der Arena war immer der, der verlor. Das jubelnde Volk im weiten Rund wollte seinen Tod.
Marianne schrak zusammen, als die Balkontür zur Terrasse anschlug und Schritte durch die Dunkelheit tappten.
»Lutz?« fragte sie in die Nacht hinein. »Bist du es, Lutz?«
»Nein!«
Das Deckenlicht flammte grell auf. Geblendet blinzelte Marianne gegen den Lichtschein. Im Zimmer stand Ilse Patz. Ein Trenchcoat mit hochgeschlossenem Kragen verhüllte ihre große schlanke Gestalt.
»Ich bin es nur«, sagte sie. »Ich hätte mir denken können, wo du bist, nachdem du die Farm allein gelassen hast. Nur wußte ich nicht, daß du im Dunkeln hockst wie eine brütende Henne.«
»Was willst du hier?« fragte Marianne heiser. Sie hatte sich jetzt an das Licht gewöhnt, hielt aber noch immer die Hände vor die Augen.
»Dasselbe, was du hier willst. Mit Lutz reden.« Ilse Patz setzte sich in einen der Sessel und zündete sich mit zitternden Fingern eine Zigarette an. »Stimmt es, daß in der Klinik …«
»Ja. Woher weißt du das?«
»Von Paps. Er rief mich an.«
»Dein Vater ist hier? Warum war er nicht bei uns?«
»Es hat Streit gegeben. Ich weiß überhaupt nicht, warum er noch in St. Hubert ist.« Ilse Patz blies den Rauch gegen die Decke. Sie rauchte selten, nur wenn sie schrecklich nervös war. »Wie konnte das in der Klinik passieren? Ein Narkoseunfall?«
»Ich weiß so wenig wie du.« Marianne stand auf und trat an die Terrassentür. Von hier aus konnte man die erste Etage der Klinik sehen, den Flügel mit den OP-Räumen, den Büros, den Chefzimmern. In allen brannte helles Licht. »Warum bist du gekommen?«
»Um mit dir zu sprechen.«
»Mit mir? Ich dachte mit Lutz.«
»Auch.« Ilse Patz zerdrückte die Zigarette im Aschenbecher. Sie schmeckte bitter wie Galle. »Wir waren einmal dicke Freundinnen, Marianne. Wir sind durch Hölle und Himmel gegangen. Es hat nie Krach gegeben. Meine Männergeschichten, na ja … du kennst mich ja. Du hast sie mir alle gegönnt.«
»Ja –«
»Dann verknackst du dir den Fuß, lernst Lutz im Zug kennen, und unsere Freundschaft ist vorbei. Muß das sein?«
»Das frage ich dich. Wer drängt sich zwischen mich und Lutz?«
»Du siehst das falsch, Marianne.« Ilse Patz wanderte in dem Zimmer hin und her. Die Tür zum Schlafzimmer stand auf, sie sah das Bett und dachte an die Nacht, wo sie draußen gestanden hatte, das Ohr am Fenster, und bald gestorben wäre vor Haß und Wut. »Du bist ein Typ, der Männern das Gefühl gibt, geborgen zu sein. Du bist die geborene Ehefrau. Es wird dir nicht schwerfallen, einen Mann zu bekommen, der treu ist und Familienvater wird. Bei mir ist es anders. Ich hasse die Männer, warum, das weiß ich nicht. Vielleicht, weil der erste Mann, der mich nahm, das mit Gewalt tat und mich so lange schlug, bis ich willig war. In mir tobt ewige Rache. Bis ich Lutz sah. Bis ich erkannte:
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