Treibhaus der Träume
Frau nicht mehr sehen.
Prof. Ploch vom Gerichtsmedizinischen Institut in München erklärte es dem fassungslosen Antiquitätenhändler aus Stuttgart mit gütigen Worten. Er sprach von der Pflicht der Aufklärung, die auch die Hinterbliebenen beruhigte. Er umschrieb den unschönen Anblick, den Gertrud Alberts jetzt bot.
»Sie haben eine gute Erinnerung an Ihre Gattin«, sagte er mit warmer Stimme. »Die sollten Sie behalten. Glauben Sie mir … die Ärzte haben alles getan, was sie tun konnten. Sie haben einen verzweifelten Kampf gegen einen ihnen unbekannten Gegner geführt. Aber gegen sechsundzwanzig Zigaretten und eine Herzdekompensation kamen sie nicht an. Das klingt lächerlich, aber gerade das verstärkt die Tragik.«
Theo Alberts sah auf seine zitternden Hände. »Gertrud war immer eine starke Raucherin«, sagte er dumpf. »Wie oft habe ich ihr gesagt, sie solle aufhören damit … oder es einschränken, schon des Herzens wegen … und nun …«
»Nun ist sie tot.« Er klang hart, aber Professor Ploch sah, daß es das beste Mittel war, die tiefe Erschütterung des Mannes aufzufangen. »Wir können uns alle keine Vorwürfe machen, Herr Alberts. Trösten wir uns mit einer frommen Lüge: Es war so etwas wie ein Unfall, verursacht ganz allein von Ihrer Frau. Keiner konnte das aufhalten, voraussehen …«
Theo Alberts nickte stumm. Die Worte rauschten an ihm vorbei wie starker, prasselnder Regen. Er hörte nur Töne, keine Worte und fand keinen Sinn.
Später saß er auf dem gelüfteten und neu bezogenen Bett seiner verstorbenen Frau. Man hatte ihm das Zimmer überlassen, bis der Sarg kam und die Tote nach Stuttgart überführt wurde. Alle Formalitäten hatte ein Beerdigungsinstitut in Stuttgart übernommen. Theo Alberts war zu keinen Handlungen mehr fähig. Er hatte seine Frau wirklich geliebt. Ihre Nase hatte ihm auch gefallen wie sie früher war, und als sie ihm sagte, sie wolle eine geradere haben, hatte er noch gefrotzelt: »Du eitler Fratz! In deinem Alter! Paß auf, nachher erkennen dich deine eigenen Kinder nicht wieder und schreien: ›Wir wollen unsere alte Mutti wiederhaben …‹«
Nun sahen sie die Mutti nie wieder … ein Sarg, ein Erdhügel, ein Marmorstein war alles, was übrigblieb.
Theo Alberts warf die Hände vors Gesicht und weinte laut.
Im Herzen begriff er noch immer nicht, daß er Gertrud nie wiedersehen sollte.
Am nächsten Morgen, ganz früh, bevor die anderen Patienten aufwachten, wurde der Sarg in die Klinik getragen und Gertrud Alberts hineingelegt. Theo Alberts hatte einen Rosenstrauß abgegeben, man legte ihn der Toten auf die Brust. Dann wurde der Sarg geschlossen, verschraubt und durch den Hintereingang weggetragen zum Transportwagen. Es geschah alles schnell, ohne Aufsehen. Nur Theo Alberts mußte gefahren werden; er war nicht fähig, selbst seinen Wagen zu lenken. Der II. Assistenzarzt übernahm die Chauffeurrolle. Es war besser, wenn jetzt ein Arzt in der Nähe Alberts' war. Sein Gesichtsausdruck, seine flatternden Augen hatten nichts Normales mehr. Die ganze Nacht über hatte man ihn im Zimmer sprechen hören.
Er hatte sich mit Gertrud unterhalten. Er beichtete der Toten sein Leben, seine Liebe.
Auch die Kommission aus München reiste ab. Was die Staatsanwaltschaft unternehmen wollte, sagte der I. Staatsanwalt nicht. Aber Prof. Ploch drückte Lorentzen beruhigend die Hand und nickte ihm zu. »Seien Sie voll Hoffnung«, hieß das. Prof. Sahrein gab Lorentzen wieder seine schlaffe Hand.
»Kopf hoch!« sagte er in seiner penetranten Väterart. »Wir schlucken so vieles im Leben … Hühnerbrühe und Gulaschsuppe mit Paprika. Und verdaut wird es auch. Also – keine Sorgen!«
Dann fuhr die Kolonne ab. Der Morgennebel, der aus dem Tal stieg und die Hänge hinaufglitt, hüllte sie ein und verschluckte sie nach wenigen Metern. Über den Bergen war ein blauer Himmel. Es wurde ein schöner Herbsttag, warm und sonnig. Schon dampften die Wiesen auf den Almen.
Stumm stand Dr. Lorentzen vor seiner Klinik und lauschte dem Geräusch der unsichtbar gewordenen Wagen nach.
Es war ihm, als führe man in dem Sarg nicht eine Leiche, sondern seine Zukunft weg.
Marianne Steegert hatte an dem turbulenten Tag Lorentzen nur kurz sehen und sprechen können. Als die Kommission aus München eintraf, saß sie in dem Wohnzimmer des Chefbungalows, hoffend, daß Lutz eine Stunde frei hatte, um zu ihr zu kommen. Sie hatte auf der Schönheitsfarm alle Behandlungen ihren Kosmetikerinnen übergeben,
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