Treibhaus der Träume
Verbrechen.
»Mord?« fragte der I. Staatsanwalt laut.
»Ach was.« Prof. Ploch tippte mit einer Pinzette auf eine der freipräparierten Schleimhäute. »Der genaue Laborbefund muß es noch bestätigen. Ich sage vorerst: Die Frau starb an einer Überdosis Nikotin, die das Herz nicht vertragen konnte.«
»An einer … was?« stotterte Dr. Lorentzen. Auch Sahrein sah seinen Pathologiekollegen ungläubig an.
»Die Tote hat geraucht. Unmäßig geraucht. Kurz nach der Nasenoperation. In die noch frischen Wundränder drang Nikotin ein und erzeugte eine Entzündung, die nach Lage der Dinge wie eine Sepsis aussehen mußte.« Er ließ die Pinzette fallen, trat zurück und zog die Gummihandschuhe aus. Dr. Thorlacht und der II. Assistent übernahmen es, den aufgeschnittenen Körper der Gertrud Alberts wieder zuzunähen. Eine leere Hülle, denn in Plastikbeuteln lag alles um sie herum, was in ihrem Leib gewesen war.
Prof. Ploch sah sinnend auf die Tote. »Die Vergiftung ist sekundär«, sagte er bestimmt. »Es war ein glatter Herztod, ausgelöst durch das Nikotin. Wer konnte so etwas ahnen?«
Prof. Sahrein sah Dr. Lorentzen fragend an. »Machen Sie Ihre Patienten nicht darauf aufmerksam, daß nach einer Nasenoperation nicht geraucht werden darf?«
»Ich habe es früher immer getan. Aber nach so vielen Operationen habe ich festgestellt, daß die Operierten nicht das geringste Bedürfnis hatten, nach einem solchen Eingriff zu rauchen.«
»Diese Frau hat aber geraucht. Und nun ist sie tot.«
Dr. Lorentzen schwieg. Die Wolken zogen sich wieder zusammen. Seine Operation war gelungen, es hatte nicht an der Sterilität gelegen, daß ein Mensch gestorben war. Sein OP war rehabilitiert. Das war die Hauptsache.
»Eine dumme Angelegenheit«, sagte der I. Staatsanwalt und ging zurück in den Vorraum. »Sie haben die ärztliche Verpflichtung zur Aufklärung vor einem Eingriff verletzt. Urteil des Bundesgerichtshofes vom 26. September 1961 … Sie wissen: Der Arzt muß vor einer Operation seinen Patienten genauestens informieren, was ihn nach der Operation erwartet.«
»Streiten wir uns nicht schon jetzt«, sagte Sahrein mit penetranter Väterlichkeit. »Wir sind alle zufrieden, daß kein Kunstfehler vorliegt. Außerdem: Wenn der Kollege Lorentzen die Patientin wirklich aufgeklärt hätte – wer konnte kontrollieren, ob sie nicht trotzdem rauchte? Außer in der Psychiatrie können wir keinen Patienten ans Bett festbinden.«
Eine sofort nach der Obduktion erfolgte Besichtigung des Zimmers von Frau Alberts ergab den einwandfreien Beweis: In der linken Ecke des Balkons, unter dem Liegestuhl, fand man einen großen Aschenbecher, randvoll mit Zigarettenresten.
»Gratuliere«, sagte Prof. Sahrein schleimig zu Dr. Lorentzen. »Damit sind Sie aus dem Schneider. Die Sache mit der vergessenen Warnung ist zu schaukeln …«
Lorentzen schwieg. Er wußte, daß Sahrein wirklich nichts unternehmen würde bis auf einen Bericht an seinen Freund Heberach; das aber war genug. Der alte Giftzwerg Heberach würde diesen ›Fall‹ aufblähen. Auf Vorträgen, auf Kongressen in der Fachpresse, in Privatgesprächen quer durch die Welt.
Es war fast schon 22 Uhr, als vor der Klinik der Wagen Theo Alberts' hielt. Er war staubüberzogen wie Alberts selbst. Hinter München, auf der Landstraße, hatte er eine Panne gehabt und mußte einen Reifen wechseln. Völlig mit den Nerven am Ende läutete er an der Pforte und traf auf den ahnungslosen Dicki, der seine Erschöpfung überwunden hatte und am Fernsehschirm einen Krimi sah. Um die gleiche Stunde kletterten wieder einige Männer unter Führung von Frau Haut durch das Fenster von Nr. 4 in die Schönheitsfarm. In sechs Zimmern war der Tisch geschmückt wie an einem Feiertag. Die Betten waren aufgedeckt, die Radios spielten leise.
Man wird nicht nur durch Cremes, Bäder und Massagen schön …
Dicki sah durch das Klappfenster die schmutzige Gestalt vor der Tür und wurde bösartig.
»Hier ist ein Krankenhaus, du Rindvieh!« rief er dem erschöpften Alberts zu. »Hau ab. In St. Hubert kannste in der Scheune pennen!«
Es dauerte lange, bis Dicki begriff, daß er sich geirrt hatte. Erst als Dr. Thorlacht gerufen wurde, war er bereit, das Tor aufzuschließen.
»Eine Tote …«, stammelte er und starrte Dr. Thorlacht nach, der den völlig gebrochenen Alberts wie einen Schwerkranken zum Fahrstuhl führte. »Bei uns? Und das weiß ich nicht? Was sind das denn hier für Zustände?«
Theo Alberts durfte seine
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