Treibhaus der Träume
man auch tut, es werden sich immer wieder Keloide bilden. In Hamburg hatten wir so einen Fall. Der II. Oberarzt nahm sich den Patienten vor und schnitt, was am verlockendsten war, die Narbe einfach heraus. Der Erfolg war fürchterlich: Die neue Narbe war noch dicker und häßlicher.
»Was können wir machen?« fragte Horst Rappel und zog sein Unterhemd wieder an.
»Nichts«, sagte Dr. Thorlacht ehrlich.
»Nichts? Aber das gibt es doch nicht.« Diesmal war es kein Spiel. Rappel war ehrlich erstaunt. »Ich denke, eine kosmetische Klinik kann alles? Wenn man noch nicht mal eine Narbe wegmachen kann …«
»Nicht jede Narbe ist gleich.«
»Natürlich nicht. Die eine ist an der oberen, die andere an der unteren Backe. Hahaha! Gut, nicht wahr, Herr Doktor?« Rappel kam wieder in seine Rolle. Der kleine Mann erzählt einem Akademiker einen Witz. Das ist schon ein Erlebnis. Dann, als Dr. Thorlacht ihm die Zusammenhänge darlegte, wurde er wieder ernst und traurig. »Aber so kann ich doch nicht nach Madeira. Wenn mich der Herr Chefarzt vielleicht noch einmal sehen könnte …«
Die Angel war ausgeworfen.
»Dr. Lorentzen ist zur Zeit verhindert. Aber wenn Sie am Nachmittag wiederkommen wollen … gegen 17 Uhr … vielleicht steht er dann für Sie zur Verfügung.«
»Oh, das wäre schön! Zu schön. Natürlich komme ich.«
Rappel zog sich an, machte ein paar linkische Verbeugungen vor dem Herrn Doktor und verließ die Klinik. Vor der Auffahrt traf er auf Dicki, der Laub wegfegte.
»Sind die gut da drin?« fragte er vertraulich und zeigte mit dem Daumen auf das lange weiße Gebäude. Dicki sah den Mann an, als wenn er nach Mist stänke.
»Gut? Das sind die besten Ärzte der Welt.«
»Na, na!« Rappel lächelte verzeihend. »Die können nicht mal eine Narbe wegnehmen.«
»Wieso denn? Das ist bei uns doch eine Kleinigkeit. Das machen wir laufend.« Dicki stellte den Stahlbesen hin. »Da müssen Sie schon besondere Narben haben. Was hat der Chef gesagt?«
»Nichts. Er hat mich gar nicht gesehen.«
»Dr. Thorlacht ist auch gut.«
Horst Rappel hob die Schultern und ging weiter. Dicki sah ihm nach und krauste die Stirn. Wer die Klinik beleidigte, beleidigte auch ihn. Er überlegte, ob er dem Mann nachlaufen sollte – aber dann war ihm das zu dumm, und er harkte weiter Laub zusammen.
Am Nachmittag kam der sehnlich erwartete Anruf aus München. Lorentzen saß allein in seinem Sprechzimmer, niemand durfte ihn ansprechen. Alle Anrufe wurden im Sekretariat abgefangen. Auch als Marianne dreimal aus der Schönheitsfarm fragte, gelang es ihr nicht, bis zu Lorentzen vorzudringen.
Stundenlang stand er am Fenster, sah über die Wiesen und Wälder, Berge und hinab ins Tal, wanderte dann hin und her und rauchte eine Zigarette nach der anderen.
Um 16 Uhr kam der Anruf aus München.
Professor Ploch meldete sich.
»Lieber Kollege«, sagte er, und man hörte seiner Stimme an, daß sie erleichtert war, »es ist alles in Ordnung! Der endgültige Obduktionsbefund ist fertig. Die Patientin hatte eine symptomatische Meningopathie; das läßt sich gerade bei Nasenoperationen, vor allem, wenn sie von innen gemacht werden, nicht vermeiden. Sie wäre aber nicht tödlich gewesen. Ursache des Exitus war eine Herz- und Kreislaufschwäche aufgrund des hohen Nikotinverbrauchs. Sie konnten das bei der Aufnahmeuntersuchung nicht feststellen … uns sind ja erstaunliche Remissionen gerade bei Herzerkrankungen bekannt. Die Meningopathie aber löste plötzlich wieder die Herzschwäche aus. Ihr Dr. Thorlacht hat wirklich alles getan, was er in seiner Lage tun konnte. Sie selbst, lieber Kollege, trifft überhaupt kein Verschulden. Von einem Kunstfehler kann gar keine Rede sein. Es war ein bedauerlicher Unfall, wie er uns Mediziner manchmal wie ein Blitz aus heiterem Himmel trifft.«
»Ich danke Ihnen, Herr Professor«, sagte Dr. Lorentzen mit belegter Stimme.
»Sie hatten sich Sorgen gemacht?«
»Große –«
»Unbegründet.«
»Auf jeden Fall werde ich ab sofort bei der Anamnese jeden fragen: ›Rauchen Sie stark? Trinken Sie viel Alkohol?‹«
Prof. Ploch lachte laut. »Sie sehen, Lorentzen: Die hochqualifizierte Wissenschaft ist immer noch abhängig von den Worten des guten, alten Paracelsus: ›Sauf nicht zuviel! Das Wichtigste in deinem Körper sind die Säfte!‹«
»Wir machen weiter!« rief Lorentzen ins Haustelefon, als das Gespräch mit München beendet war. Die Ärzte und Schwestern im Aufenthaltsraum neben dem OP sahen sich
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