Treibhaus der Träume
glücklich an. Die Stimme Lorentzens war frei und energisch wie früher. »Die Operationspläne bitte bis 19 Uhr zu mir. Sind Patienten angemeldet? Ich bin in einer Viertelstunde zu sprechen.«
Bevor er die Arbeit wieder aufnahm, sagte er noch Marianne Bescheid. »Endlich«, sagte sie aufatmend. »Endlich, Lutz. Ich bin völlig durcheinander. Ich kann keinen klaren Gedanken mehr fassen. Ist alles in Ordnung?«
»Alles in Ordnung, Liebes!«
Er hörte einen Jubelschrei und lächelte glücklich.
»Darauf trinken wir eine Flasche Sekt!« rief Marianne. »Soll ich zu dir kommen?«
»Ich komme hinüber zu euch.« Dr. Lorentzen dachte an Ilse Patz. Auch dieses Problem muß sich lösen lassen. Die Wahnsinnsidee, mit dem geraubten Bankgeld den alten Patz abzulösen, war wirklich eine Wahnsinnsidee. Es mußte auch noch andere Wege geben.
Er strich sich über die Stirn, als er den Hörer aufgelegt hatte. Wozu ein Mensch fähig ist, wenn er verzweifelt ist, dachte er. Ich hätte es nie geglaubt … aber gestern noch stand ich an der Schwelle, Arzt und Verbrecher zu sein.
Wie anders sieht die Welt jetzt aus!
Er ahnte nicht, daß fünf Minuten später eine neue Gefahr in sein Zimmer trat.
Horst Rappel hatte sich Dr. Lorentzen ganz anders vorgestellt. Er war es gewöhnt, daß Chefärzte sich wie edle Pferde benehmen; nervös, empfindlich gegen jeden Windzug, launisch und unberechenbar. Waren sie gar Professoren, so hatte ein normaler Sterblicher nichts mehr zu sagen. Der Blick aus dem Olymp der Wissenschaften auf den kriechenden Pöbel war deutlich spürbar.
Hier war es anders, Lorentzen hörte sich geduldig alles noch einmal an, was schon Dr. Thorlacht erfahren hatte: die Sehnsucht nach Madeira, die Freude des kleinen Mannes, die Not wegen der dicken Rückennarbe. Fast tat es Rappel leid, diese Komödie zu spielen. Man hätte jetzt sagen können: »Sie haben den Bankräuber Hans Bornemann unter Ihrem Dach. Wollen Sie ihm ein neues Gesicht machen?« Und alles wäre vorbei.
Aber Horst Rappel war Reporter. Er stand vor einer einmaligen Chance. Soll er das neue Gesicht machen, dachte er nach diesen moralischen Anwandlungen. Erst dann ist der Fall ein richtiger Knüller. Einen Bankräuber entlarven, das kann jeder – aber einen vorstellen mit einem operierten Gesicht, das kann nur Horst Rappel.
Um der Sensation willen: Rappel-Herz – schweig!
Dr. Lorentzen sah beim ersten Blick, daß Rappel einer der Typen war, die zur starken Keloidbildung neigten. Jeder kosmetische Chirurg zuckt da zurück. Aber gerade das war es, was Lorentzen jetzt reizte. Wo andere die Waffen streckten, trat er an die Front. Das war schon immer so; in Paris, in New York und in Hamburg. ›Lorentzen macht es‹ – das war ein geflügeltes Wort geworden an den Krankenhäusern, wo er operierte. Und er war immer siegreich geblieben. Die Kollegen nannten es mit ärztlicher Freundlichkeit: er hatte Glück.
»Ich kann Sie operieren«, sagte Dr. Lorentzen gedehnt. Rappel hielt beim Überziehen seines Unterhemdes inne und starrte ihn durch ein Ärmelloch an.
»Ist das wahr …?«
»Doktor Thorlacht hat Ihnen gesagt, daß man solche Narben nicht heraustrennen kann, weil sie bei Ihrer Veranlagung immer wieder und noch stärker kommen. Das stimmt.« Dr. Lorentzen setzte sich an seinen Schreibtisch und wartete, bis Rappel auch sein Oberhemd zugeknöpft und in die Hose gestopft hatte. »Es gibt aber zwei Methoden, die vielleicht – ich betone: vielleicht – Erfolg versprechen. Es kann indessen auch schiefgehen. Bei Keloiden weiß man das nie. Erstens: Ich kann die Narbe herausschneiden, sofort mit einer Strahlentherapie nachbehandeln und zusätzlich Nebennierenhormone spritzen, oder zweitens: Ich schleife die Narbe ab unter Koppelung mit dem Diathermiegerät und injiziere Ihnen ein Nebennierenrindenhormon. Dann müssen wir abwarten. Entweder, die neue Narbe ist besser, oder der alte Wulst kommt wieder. Es ist ein Glücksspiel.«
»Spielen wir es, Herr Doktor.« Horst Rappel fiel es schwer, den kleinen kaufmännischen Angestellten weiterzuspielen. Eine Achtung vor diesem Arzt stieg in ihm hoch, die ihn verstehen ließ, warum alle Patienten, die er an diesem Tag im Garten oder auf den Fluren gesprochen hatte, in Dr. Lorentzen fast verliebt waren. »Welche Methode nehmen Sie bei mir?«
»Die ungefährlichere. Ich schleife ab …«
»Und wann? Ich … ich habe mir ein paar Tage freigenommen, um zu Ihnen zu kommen. Ich bekomme keinen Sonderurlaub mehr, weil
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