Treibhaus der Träume
in den Kosmetiksesseln hatten noch nie so viele Damen gegähnt wie jetzt. Beim Sport war es noch schlimmer: Frau Haut brach bei der Reifengymnastik zusammen. Frau Hennes aus Duisburg schlief während eines Waldlaufes und stieß mit dem Kopf gegen eine Fichte. Außerdem verlängerte sie den Aufenthalt zum zweitenmal, genauso wie Frau Haut und Frau Nitze. Sogar die dralle Frau Pfannenmacher kam wieder, weil Frau Nitze ihr geschrieben hatte: Hier tut sich was! Halli – hallo!
Kritisch wurde die Lage vor Zimmer 4 im Parterre, der Eingangspforte ins Paradies für viele Herren vom Motel ›Forellenklause‹, als sich Dicki ebenfalls anstellte und zunächst versehentlich in der dunklen Nacht ins Haus geschleust wurde. Man merkte diesen Mißgriff erst, als das Deckenlicht aufflammte und die Vorhänge dicht zugezogen waren.
»Das ist ja allerhand!« sagte Frau Haut. Sie sah nervös um sich. »Was machen Sie denn hier?«
»Ich dachte, es gäbe türkischen Honig«, sagte Dicki unverschämt. Er blinzelte Frau Hennes an, die ganz seinem Typ entsprach. Mittelalt, griffig, dankbar. »Wenn ich schweige, können Sie hier machen, was Sie wollen.«
»Das ist ein gutes Wort, Dicki.« Frau Nitze griff in ihre Handtasche und fingerte zwei Hundertmarkscheine heraus. Dicki sah sie tief beleidigt an.
»Sie mißverstehen mich«, sagte er hochmütig. »Ich kann nur schweigen, wenn man mir die Lippen verschließt.«
Frau Hennes übernahm es nach kurzem Disput, Dicki in den Kreis aufzunehmen. Sie enttäuschte nicht. Nach stürmischer Meerfahrt bei Rosa Ballek zog jetzt sanft schaukelnd ein Kahn durch den See.
Es war Ilse Patz, die den Einschlupf entdeckte und den Geleitzug der Männer von der Mauerpforte zum Fenster Nr. 4. Sie war, Böses ahnend, die Nacht über aufgeblieben und immer wieder um beide Häuser geschlichen. Das Kommen verpaßte sie, aber das Gehen der Kavaliere sah sie genau, hinter einem Busch kauernd. Da Frau Hennes mit oben ohne dem letzten Besucher fröhlich nachwinkte, gab es keinen Zweifel mehr, woher die Müdigkeit der Damen am Morgen rührte. Ilse Patz sah auf die Uhr. 5 Uhr morgens. Nur zwei Stunden Schlaf gönnten sich die Damen.
An diesem Tage sagte Ilse Patz noch nichts. Aber sie hängte an den Riegel der Gartenpforte ein neues, großes Schloß, dessen Schlüssel nur sie besaß.
Dafür ließ sie die Damen turnen, daß die Lungen keuchten.
»Bewegung!« rief sie und schlug auf ihr Tamburin. »Hüpfen! Arme hoch! Senken! Nach vorne – beugt! Tiefer! Tiefer! Sie wollen doch schlanker werden, meine Damen! Sie wollen Ihre Körper entlüften! Sie wollen sich erholen! Die Muskeln ganz locker … nicht so verkrampft wie im Bett! Im Bett macht man viele dumme Sachen! Das muß am Morgen wieder raus! Und alles … laauufen … die Wiese hinauf … eins-zwei, eins-zwei …«
Frau Haut sah hinüber zu Frau Nitze. Sie keuchten den Hügel hinauf. Sie schwankten fast. Schweiß rann über die Augen.
Man mußte sich die Nacht wirklich teuer erkaufen!
Horst Rappel hatte Zeit genug, sich in der Klinik umzusehen. Man ließ ihn in Ruhe. Eine Stunde lang wurde er durchleuchtet und abgehört. Das machte der II. Assistent. Rappel hielt das für übertrieben. Was hat die Lunge mit einer Narbe auf dem Rücken zu tun? Aber seit dem Tode von Frau Alberts war man übervorsichtig in der ›Almfried-Klinik‹. Bevor jemand auf den Tisch kam, war er internistisch völlig durchgetestet. Dabei entdeckte man bei zwei Patienten eine Zuckerkrankheit und bei einer Dame eine Anämie.
Sooft Rappel durch den großen Bau wanderte, von Etage zu Etage und bald alle Zimmer und ihre Insassen kannte – Hans Bornemann sah er nirgendwo. Als Lorentzen operierte, benutzte er diese Stunden, um in den Bungalow einzudringen. Es war nicht schwer, die Terrassentüren standen weit offen. Schon da wußte Rappel, daß man hier Bornemann nicht versteckt hatte. Trotzdem ging er im Haus herum, bis in den Keller. Es war leer.
Dicki wollte er nicht fragen. Viele Fragen wecken Neugier. So ging er zurück zum Klinikbau und visierte die Dachgeschosse. Hier waren nur Bodenkammern, Magazine, Kisten vom Einzug. Er kam auch zu der Tür, an der Vorratskammer stand. Müde vom vergeblichen Suchen verzichtete Rappel darauf, auch hinter diese Tür zu blicken. Er war so nahe am Ziel – und kehrte resigniert um. Vielleicht war es sein Glück; Bornemann hätte ihn erschlagen. Die zwei Millionen unter seinem Bett machten ihn zu einem Tiger.
Was nun noch fehlte, war der Keller.
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