Treibhaus der Träume
mehr: Er schrie um Hilfe. Er pumpte Luft in seine Lungen und brüllte wie ein angeschossener Elefant.
»Hilfe! Überfall! Überfall! Hilfe!«
Horst Rappel zögerte. Dann rannte er aus dem Keller, warf die Türen zu und rannte die Treppe hinauf in die Halle. Die Stimme Dickis grollte durch die dicke Decke, aber es war unmöglich, daß sie jemand hörte, und die Tür von Keller II war von innen nicht zu öffnen. Auch als er zu klopfen begann und mit einem harten Gegenstand gegen die Mauern hieb, war es ein Geräusch, das keinen Schlafenden aufweckt. Es mußte schon ein Zufall sein, wenn ihn jemand hörte.
Mit springenden Schritten erreichte Horst Rappel sein Zimmer, zog sich aus, wusch sich Dickis Blut von den Händen und aus dem Gesicht und legte sich ins Bett. Ganz von fern hörte er das Hämmern im Keller. Ein stabil gebautes Haus ist etwas wert, dachte Rappel sarkastisch. Bis die Putzfrauen kommen und ihn finden, sind es noch über drei Stunden.
Und so war es auch. Die Putzfrau Emma Heumichl befreite Dicki aus seinem Gefängnis. »Jo mei!« schrie sie, als Dicki mit blauen Augen und einer Kopfwunde an ihr vorbeirannte. »Der Herr Dicki! Wo kimma Eahna denn her?«
Dicki gab keine Antwort. Er rannte direkt in den Garten, keuchte hinüber zum Chefbungalow und klingelte Dr. Lorentzen aus dem Bett.
»Ich habe ihn gesehen!« schrie Dicki, als Lorentzen entgeistert seinen Hausmeister anstarrte. »Der Brandstifter! Im Keller II. Ich habe einen neuen Anschlag vereitelt. Aber der Kerl konnte Judo! O Himmel … mein Kopf!« Er sank in einen Sessel, preßte die Hände gegen seine Schläfen und stöhnte.
Eine halbe Stunde lang behandelte Lorentzen den völlig gebrochenen Dicki. Er reinigte die Kopfwunde, legte kühle Kompressen auf die blauen Augen, maß Puls, hörte das Herz ab und verordnete Bettruhe.
»Sie haben eine Gehirnerschütterung. Marsch ins Bett! Und stramm gelegen! Schwester Rosalinde wird Sie betreuen.« Lorentzen nahm die Alkoholkompresse von Dickis Augen. »Wie sah der Kerl denn aus?«
»Ich habe ihn nur von hinten gesehen. Wer konnte wissen, daß er mit Judo …«
»Hat er etwas gesagt?«
»Kein Wort, Chef. Schmiß mich stumm an die Wand und auf den Boden, wohin er wollte.« Dicki streckte sich ächzend. Alle Knochen müssen blau sein, wenn es so etwas gibt, dachte er. »Aber ich lerne auch Judo, das sag ich Ihnen. Das kommt mir nicht noch einmal vor.«
»Erst ins Bett und strengste Ruhe. Und dann sehen wir weiter.«
Lorentzen rief in der Klinik an. Zwei Krankenpfleger kamen wenig später über den Rasen, eine Trage zwischen sich. An den Fenstern standen Schwestern und Patienten. Dicki wurde rot vor Scham.
»Ich soll auf die Trage, Chef?«
»Natürlich. Kein Laufen mehr bei Ihrer schweren Commotio.«
»Aber ich kann doch noch gehen, Chef.«
»Legen Sie sich hin, Dicki!«
»Muß das sein, Chef?«
»Es muß!«
Dicki ließ sich auf die Trage betten und sah die beiden Krankenpfleger flehend an. Es waren zwei seiner Skatbrüder, mit denen er auch ab und zu in St. Hubert ein paar Bier trinken ging.
»Deckt mir ein Tuch übers Gesicht«, bettelte er. »Das ist ja zu blöd mit der Trage.«
»Tuch geht nicht.« Die Krankenpfleger packten Dicki wie einen Schwerkranken in eine Decke, obgleich es draußen warm war. »Nur Tote bekommen das Gesicht verdeckt.«
»Macht eine Ausnahme!« schrie Dicki.
»Unmöglich. Was sollen die anderen Patienten denken?«
Dicki schloß die Augen, als man ihn vom Bungalow Lorentzens langsam über die Wiese hinüber zur Klinik trug. Fast an jedem Fenster sah er durch die Wimpern einen Kopf; es war die Zeit des allgemeinen Aufstehens.
In der Halle erwartete ihn Dr. Thorlacht. Lorentzen hatte ihn verständigt. »Heil dir, Siegfried, strahlender Held«, sagte Thorlacht. Dicki knirschte mit den Zähnen.
Ich lerne Judo, dachte er. So schnell wie möglich. Ilse Patz wird mir Unterricht geben. Sie hat als Sportlehrerin auch Judo gelernt. Und dann wartet, ihr miesen Typen! Vor allem ihr, meine Skatbrüder. Ich werde mir merken, wie langsam ihr mich durch den Garten getragen habt.
Und Rosa Ballek stand auch am Fenster.
Dicki wurde unruhig, als er dies feststellte. »Schließen Sie mich ein, Schwester Rosalinde!« sagte er, als er endlich im Bett lag, umsorgt wie ein Baby. »Ich glaube, ich brauche wirklich vollständige Ruhe.«
Es war weise, was Dicki da gesagt hatte, denn eine Stunde später, als die meisten noch Kaffee tranken, ging die Klinke herunter und jemand rappelte
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