Treibhaus der Träume
zur Stütze der Blütenstauden in die Erde schlug, kam an den Drahtzaun und hieb ihn mit dem Knüppel so zusammen, daß er über ein Gewirr von Drähten hinüber auf das Gelände der Farm steigen konnte.
Ilse Patz, die gerade mit einer Gruppe Frauen in Trainingsanzügen einen kleinen Dauerlauf durch den herbstlichen Spätnachmittag machte, sah ihren Vater – einem Stier gleich – über die Wiese rennen.
Sie blieb stehen, während die Frauen weiterliefen, einen Kreis schlugen und wie die Schäfchen in weitem Bogen um Ilse herumhüpften.
Als Ilse den Knüppel in der Hand ihres Vaters sah, wußte sie, daß kein Gitter den Alten mehr aufhalten konnte. Sie warf sich herum, und wie in ihrer Kinderzeit begann sie, vor dem Vater wegzulaufen.
»Hiergeblieben!« brüllte der alte Patz. »Stehenbleiben! Du infames Luder! Bleib stehen, sag i!«
Ilse Patz lief wie um ihr Leben. In langen Sätzen, wie eine gehetzte Wildkatze, jagte sie zum Haus und warf sich gegen die Tür zu den Kosmetikkellern. Dort rannte sie die Stufen hinunter, durch die weißen Gänge und die Treppen hinauf zu ihrem Zimmer. Sie schloß die Tür ab, schob mit der Kraft einer Verzweifelten ihr Bett vor die Tür und hockte sich ans Fenster.
Unten stürmte der alte Patz brüllend durch das Haus. Er riß im Kosmetikkeller Tür nach Tür auf, und überall starrten ihn entgeisterte Gesichter an … hübsche Mädchen in weißen Kitteln und liegende Frauen mit grünem Brei auf dem Gesicht, mit Moor bepackt, unter dem Ozongerät, nackt nach Franzbranntwein duftend, mit Kakaobutter beschmiert, von Fett glänzend unter den Händen der Masseuse.
»Verzeihung!« schrie der alte Patz in jeder Tür und warf sie wieder zu. »Verzeihung … Verzeihung …«
Sein unbändiger Zorn verrauchte langsam. Soviel Frauen und so wenig Kleidung machen selbst den Rasendsten zunächst sanft. In Kabine 16 fand er Cornelia van Heerstraten. Sie lag auf der Steegertschen Spezialliege und ließ sich Finger- und Fußnägel maniküren und pediküren, während ihr Gesicht mit frischen Gurkenscheiben belegt war. Trotz dieser artfremden Verwandlung von Gemüse erkannte Patz an anderen Merkmalen seine geliebte Cornelia. Er stürmte in das Kabinett, nicht achtend auf die entsetzten Blicke, die ihm die beiden Kosmetikerinnen, die sich um Frau van Heerstraten bemühten, zuwarfen.
»Ich soll entmündigt werden!« keuchte der alte Patz. »Ich soll wie ein blöder Stammler unter Kuratel kommen! Meine eigene Tochter, mein einziges Kind, beantragt in München … Oh! Das überlebe ich nicht! Da zerplatze ich! Mein eigenes Kind … Entmündigt … ich … mit fast sechsundfünfzig Jahren!«
Cornelia van Heerstraten rührte sich nicht. Die Gurkenscheiben durften nicht verrutschen. Eine der Kosmetikerinnen war davongelaufen, um Marianne zu holen. Aber das war nicht nötig – sie kam schon über den Flur gerannt, alarmiert aus den anderen Kabinen.
»Reg' dich nicht auf«, sagte Cornelia. Sie sprach etwas gequetscht … man versuche einmal mit Gurkenscheiben auf dem Gesicht Reden zu halten.
»Es ist deinetwegen, weil ich dich liebe!« keuchte der alte Patz.
»Tust du das wirklich, mein Lieber? O, wie süß …« Sie tastete nach seiner Hand. »Du kämpfst um mich, edler Ritter …«
Der alte Patz hatte jetzt keinen Sinn für Romantik. Er griff sich ans Herz, keuchte laut, verdrehte die Augen und fiel wie ein gefällter Baum auf den Boden.
Die Aufregung war zu groß gewesen. Das hält auch ein Patz-Herz nicht aus.
Mit sechs Mädchen schleppte man den Alten auf eine Liege. Marianne rief in der Klinik an. Dr. Lorentzen konnte nicht kommen, er operierte gerade erneut den ›Grafen‹. Aber der II. Assistent kam sofort herüber und gab dem alten Patz zwei Kreislaufinjektionen.
In ihrem Zimmer ging Ilse hin und her und hieb die Fäuste gegeneinander. Die Katastrophe war nicht mehr aufzuhalten … sie kam sich vor wie ein Verblendeter, der einen Deich durchstochen hat und nun vor dem Meer davonlaufen will, das sich über das Land ergießt.
Am späten Abend kam Dr. Lorentzen in die Schönheitsfarm.
Der alte Patz lag in Mariannes abgedunkeltem Zimmer und hatte sich soweit wieder erholt, daß er ab und zu mit der Faust gegen die Wand hieb und »Du Luder!« schrie. Nebenan, das wußte er, lag das Zimmer seiner Tochter, und Ilse Patz hatte es noch nicht verlassen. Sie saß am Fenster und starrte in den nächtlichen Park. Die Blamage, die ihr zuteil geworden war, der Skandal, den ihr Vater durch die
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