Treibhaus der Träume
sei, grob zu werden. Er entschloß sich zu einem Mittelding, rief im OP an und sagte, als sich Dr. Thorlacht meldete: »Sagen Sie dem Chef, hier sind drei Schnüffler aus München. Von der Ärztekammer! Benehmen sich wie Stabsärzte beim Hämorrhoiden-Appell.«
»Unerhört!« rief einer der Ärzte und riß Dicki den Hörer aus der Hand. »Herr Kollege!« rief er mit bebender Stimme. »Hier spricht Dr. Löhlein. Es wäre uns eine große Erleichterung, wenn wir bei der gerade anstehenden Operation zusehen dürften.«
»Bitte, kommen Sie herauf.« Dr. Thorlacht legte den Hörer auf und blickte hinüber zu Lorentzen, der sich noch wusch. »Die Kommission der Ärztekammer. Ausgerechnet jetzt. Sollten wir nicht erst eine Fettschürze wegmachen? Direktor Kratzer ist bereit …«
»Kneifen, Thorlacht? Nein!« Lorentzen schüttelte den Kopf, »jetzt erst recht! Alles, was jetzt hier geschieht, wird der alte Heberach erfahren. Sorgen Sie dafür, daß die Herren aus München steril werden und führen Sie sie dann an den Tisch. Ich fange schon mit der Knochenfreilegung an.«
Zwanzig Minuten später beugte sich ein Wald von weißen Kitteln über den bis auf die Oberschenkel abgedeckten Körper Evelyns. Die Ärzte aus München sahen über ihre Mundtücher Dr. Lorentzen fast entsetzt an.
»Das wollen Sie hier machen, Herr Kollege?« fragte Dr. Löhlein mit belegter Stimme. »Das ist doch ein Aufgabengebiet der Fachorthopädie.«
»Ein Chirurg muß auch das können. Die Patientin kam zu mir, weil einige Universitätskliniken sie nicht operieren wollten. Das Risiko sei zu groß.«
»Und Sie nehmen es auf sich?«
»Ja.«
»Ist das nicht ein wenig leichtsinnig?«
»Nicht ein wenig, meine Herrn Kollegen … es ist sehr, sehr leichtsinnig.« Dr. Lorentzens Augen blitzten. »Aber wer als Chirurg keinen Mut hat, sollte einen anderen Beruf wählen.«
Das paßt zu dem Bild, das Heberach gezeichnet hat, stellten die Münchener fest. Ein überheblicher Zeitgenosse, der gefährlich werden kann. Gefährlich vor allem für die Patienten, die sich ihm blindlings anvertrauen.
Aber dann erlebten die drei Ärzte aus München eine Operation, wie sie sie noch nie gesehen hatten. Mit großen Augen und später mit mühsam unterdrückter Begeisterung nahmen sie teil an dem Handwerk eines Genies. Ihre innere Ergriffenheit ging so weit, daß sie nach der Operation müder waren als Lorentzen und ihnen der Schweiß über die Gesichter floß. Als Lorentzen unter Röntgenkontrolle bei der Operation, wo die Schenkelknochen auf einer Fernsehscheibe erschienen, die Haken einschlug und damit das Wachstum des Beines unterbrach, hielten sie den Atem an.
»Der Heberach ist doch ein Giftzwerg«, sagte später Dr. Löhlein zu den anderen Herren, als sie allein waren und sich wuschen. »Den Bericht, den wir gemeinsam aufstellen werden, wird er sich nicht einrahmen lassen. Dieser Lorentzen ist ja ein toller Knabe! Es ist fast eine Schande, daß er hier in einer Privatklinik versauert.«
Nach drei Stunden lag Evelyn Heinzel wieder in ihrem Bett und erwachte aus der Narkose. Schwester Frieda saß neben ihr und lächelte ihr zu.
»Alles vorbei?« fragte Evelyn schwach.
»Vorläufig ja.«
»Und es ist gelungen?«
»Haben Sie Dr. Lorentzen etwas anderes zugetraut?«
Evelyn Heinzel schüttelte matt den Kopf. Dann legte sie das Gesicht zur Seite, blickte gegen die weißgetünchte Wand und begann vor Glück zu weinen.
Ilse Patz schien ein anderer Mensch zu sein. Sie war wie umgewandelt, was schon daraus ersichtlich ist, daß sie mit ihrem Vater keinen Streit mehr bekam und die ihr anvertrauten Damen in der Gymnastik wieder freundlicher behandelte.
»Von mir aus kannst du mit deiner Opernsängerin Duette singen«, sagte sie zu dem alten Patz, der in den höchsten Tönen von seiner neuen Bekanntschaft schwärmte. »Sie wird schon selbst zu der Ansicht kommen, daß deine Stimme keinen Schwung mehr hat.«
»Und welchen Schwung sie hat!« schrie der alte Patz. »Ich bin verjüngt! Ich nehme Hormone!«
Ilse lachte nur und benahm sich auch sonst wie ein junges Mädchen, das zu seinem ersten Ball geht. Der alte Patz ging mißmutig zu Marianne und machte ein böses Gesicht.
»Sie ärgert sich nicht mehr«, sagte er. »Da macht das ja alles keinen Spaß. Solange sie auf alle Palmen kletterte, da hätte ich sonst was angestellt. Aber jetzt darf ich alles. Und nun ist die Lust weg. Kommt das etwa von diesem Thorlacht?«
»Es scheint so.« Marianne Steegert war in den
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