Treibhaus der Träume
eine Woche dazu – besuchen?«
»So sicher sind Sie sich?«
Ursula Fohrbeck sprang auf. Ihr Gesicht leuchtete wieder. Das fahlblonde Haar löste sich bei der impulsiven Bewegung aus den Klammern und floß in gelockten Wellen über ihre Stirn.
»Ich schreibe sofort!« rief sie. »O Gott, was soll ich schreiben?«
»Das müssen Sie schon wissen.« Dr. Lorentzen lächelte. »Schreiben Sie so, wie eine junge Frau sich nach ihrem Mann sehnt. Eine junge, hübsche Frau mit einer makellosen Haut.«
Ursula Fohrbeck zögerte. Dann fiel sie Dr. Lorentzen um den Hals, drückte ihm einen Kuß auf die Wange und rannte weg zum Haus.
Am Abend des gleichen Tages schon lag Ursula Fohrbeck in dem kleinen OP auf dem Tisch, die Innenseite des linken Oberschenkels entblößt. Die OP-Schwester hatte ihr eine Lokalbetäubung gesetzt. Der Schleifapparat mit dem Diathermiegerät war schon herangefahren. Dr. Lorentzen hantierte an einem gekachelten Tisch. Neben ihm stand eine Dose, die wie eine Haarspraydose aussah, nur war sie mit einem blitzenden Chrommantel umkleidet.
»Wir machen jetzt eine Probeschleifung«, sagte er. »Das ist notwendig. Es gibt Patienten, die dazu neigen, statt normaler, später nur als ein weißer Strich sichtbarer Narben, dicke, rote, aufgeworfene Narben zu produzieren. Wenn ein Mensch zu diesen häßlichen Narbenbildungen neigt, kann man es nicht verhindern. Die Anlage ist angeboren. Jede Narbe wird bei ihnen dick. Sie haben es sicherlich schon bei großen, aufgeworfenen Impfnarben gesehen. Man nennt eine solche abnorme Narbenbildung Keloid. Jeder kosmetische Chirurg zittert vor Keloidpatienten, denn die Komplikationen können ungeheuerlich sein. Wenn ich das weiß, operiere ich einen solchen Patienten erst gar nicht. Und deshalb mache ich jetzt bei Ihnen einen Probeschliff …«
Ursula Fohrbeck starrte in die noch nicht eingeschaltete, runde, von vielen Hohlspiegeln umgebene Operationslampe. »Ich habe kaum sichtbare Impfnarben, Herr Doktor.«
Lorentzen lächelte. »Das habe ich schon gesehen.«
»Auch die Blinddarmnarbe ist ganz dünn …« In ihrer Stimme schwang die stumme Bitte: Operiere mich! Befreie mich von meinem gesprenkelten Gesicht. Es war rührend, sie zu hören, wie sie ihre unsichtbaren Narben aufzählte, aus Furcht, Dr. Lorentzen könne im letzten Augenblick noch sagen: Es geht nicht.
Die OP-Schwester deckte Leib und Beine ab. Dr. Lorentzen kam mit der blitzenden Sprayflasche und sprühte etwas über die Hautpartie des Oberschenkels. Es roch kaum, aber die besprühte Haut wurde etwas glasig.
»Was ist das?« fragte Ursula Fohrbeck. Sie hatte den Kopf erhoben.
»Ich friere die Haut ein mit flüssigem Gas. Sie wird dann hart und läßt sich besser abschleifen.« Dr. Lorentzen stellte die Sprühdose zur Seite. »Eigentlich brauchen wir bei der Gefrierung keine örtliche Betäubung, da die Haut keine Schmerzen mehr spürt, aber ich will ganz sichergehen.« Er nickte Ursula Fohrbeck zu und tätschelte ihr die vor Erregung feuchte Hand. »Und nun radieren wir.«
Ursula schloß die Augen. Ihr wurde übel vor Spannung. Dann hörte sie das leise Summen des Schleifapparates, das gleiche, helle Surren wie beim Zahnarzt. Nur spürte sie nichts. Plötzlich war es wieder still, die Schwester rollte den Apparat zur Seite.
»Schon fertig?« fragte Ursula mit geschlossenen Augen.
»Alles erledigt.«
Mit Hilfe von Dr. Lorentzen richtete sie sich auf und blickte auf ihren Oberschenkel. Dort war eine kreisrunde Fläche von der Größe einer Kinderhand abgeschabt. Es hatte kaum geblutet.
»Das ist alles?« Etwas wie Enttäuschung lag in ihrer Stimme.
Lorentzen lachte und nahm die Abdecktücher herunter.
»Ja. Ohne jede Dramatik. Nur in Romanen ist die Medizin geheimnisvoll und umgeben von mystischem Zauber.«
»Und so schnell geht es auch bei meinem Gesicht?«
»Nicht ganz. Da müssen wir vorsichtiger schleifen. Da kommt es auf kleinste Feinheiten an. Aber auch das haben wir in einer Stunde getan.«
Ursula Fohrbeck saß auf dem OP-Tisch und starrte auf den abgeschabten Fleck an ihrem Oberschenkel. »So einfach ist das«, sagte sie leise. »Und soviel ist daran zerbrochen. Warum hat man mir das nicht früher gesagt?«
»Noch ist es nicht zu spät, kleine Frau.« Lorentzen half ihr beim Heruntersteigen vom Tisch. »Haben Sie an Ihren Mann geschrieben?«
Sie nickte, aber sah Dr. Lorentzen nicht an. »Ja.«
»Und den Brief abgeschickt?«
»N … nein …«
Lorentzen sah auf seine Armbanduhr.
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