Treibhaus der Träume
»Dann aber schnell! In einer Viertelstunde holt der Postbote die Post aus der Schönheitsfarm ab.«
Ursula Fohrbeck lächelte Lorentzen dankbar an. Sie verließ den Operationsraum infolge der Lokalanästhesie etwas steifbeinig, und wenig später sah Lorentzen sie durch den Garten rennen, hinüber zum Haus I, wo die Verwaltung war.
In der Hand schwenkte sie ein weißes Kuvert.
Nach fünf Tagen entfernte Lorentzen das große Pflaster über der ›radierten‹ Oberschenkelstelle. Ursula Fohrbeck hatte keine Schmerzen gehabt, nur ein leichtes Brennen, aber das auch nur am ersten Tag. Am vierten Tag kam sie zu Dr. Lorentzen und machte ein trauriges Gesicht.
»Ich glaube, es heilt nicht«, sagte sie leise. »Es juckt kein bißchen.«
»Um Gottes willen – seien Sie froh.« Lorentzen lachte wie befreit. Zuerst hatte er einen Schreck bekommen, als Ursula ins Sprechzimmer kam und wieder Schatten über ihrem pickeligen Gesicht lagen. »Gut, daß es nicht juckt.«
»Aber es heißt doch immer: wenn eine Wunde juckt, dann heilt sie gut.«
»Das denkt der Laie. Für den Arzt ist es Alarm, wenn es juckt. Meist bilden sich dann die dicken Narben. Also seien Sie glücklich, daß Sie gar nichts merken.«
Und so war es auch. Als der Verband abgenommen war, hatte sich unter dem Schorf eine neue, glatte, hellrosa Haut gebildet. Noch dünn, aber von einer wundervollen Reinheit.
»Wunderbar!« rief Dr. Lorentzen. »Und Sie wollten verzweifeln?! Sie werden in ein paar Wochen ein neues, wunderschönes Gesicht haben.«
Und Ursula Fohrbeck begann, vor Glück zu weinen.
Auch Joan Bridge hatte in diesen fünf Tagen allerhand zu tun. Immer wieder stand sie vor dem Spiegel, nackt bis auf die Brustbandage, und drehte sich und wartete darauf, daß sich die Bandage wölbte und die Andeutung einer Brust wahrzunehmen war. Jeden Tag mußte Dr. Lorentzen bei der Visite das gleiche erzählen und beteuern: »Wenn der Verband fällt, werden Sie überrascht sein.«
»Und die Narben?«
»Sie werden in spätestens einem Jahr nur noch ein dünner, etwas hellerer Hautstreifen sein. Die Nähte am Rand des Warzenhofes werden Sie überhaupt nicht sehen.«
»Ich gebe Ihnen fünftausend Dollar, wenn das stimmt.« Joan Bridge zeigte Lorentzen ihr Scheckbuch. »Ich habe es Ihnen versprochen.«
An einem Mittwoch wurde das Gesicht Ursula Fohrbecks abgeschliffen. Auf eigenen Wunsch erhielt sie eine Vollnarkose. Dann wurde die Gesichtshaut wieder mit dem flüssigen Gas vereist, und der rotierende Zylinder mit den scharfen Nylonbürsten glitt leise brummend über Stirn, Wangen, Nase, Kinn und Halsansatz. Ganz vorsichtig schliff Dr. Lorentzen die oberste Hautschicht ab.
Gebannt starrten die beiden Assistenzärzte und die beiden OP-Schwestern auf die Hand Lorentzens, die den rasend rotierenden Zylinder über die Haut führte. Sie hatten bisher in den Operationssälen der großen Kliniken gewagte Eingriffe gesehen. Magenresektionen und Verkürzungen, Exstirpationen von eitrigen Nieren und die schrecklichen Entknochungen des Brustkorbes bei einer tuberkulösen Empysemresthöhle. Operationen, an denen das Leben hing. Und doch hielten sie jetzt den Atem an bei einer chirurgischen Spielerei. Hier wurde kein Leben gerettet durch einen dramatischen Eingriff; hier bekam eine junge Frau ein neues, schönes Gesicht und ein neues Glück. Mut zum Leben … er erstand jetzt unter den summenden, spitzen Nylonbürsten.
Dr. Lorentzen lächelte still, als er die gespannten Gesichter seiner Mitarbeiter sah. Er hob den Schleifapparat ab und betrachtete das Gesicht Ursula Fohrbecks. Dort, wo er schon geschliffen hatte, überzog dünner rotschwarzer Schorf die Fläche. Das dem Schleifapparat beigekoppelte elektrische Diathermiegerät hatte die wenigen Blutungen sofort zum Stillstand gebracht.
»Sie waren nur daran gewöhnt, die Haut durchzuschneiden«, sagte er. »Ihr Arbeitsgebiet lag in der Tiefe des Körpers. Da war Haut nur ein Stück Fell, das man durchtrennte. Für uns hier ist die Haut ein kleines Wunderwerk für sich. Durch sie allein verschönern wir den Menschen.« Dr. Lorentzen sah seine Mitarbeiter fragend an. »Wenn ich fragen würde: Sagen Sie mir die Anatomie der Haut her – wer kann das von Ihnen?« Die beiden Ärzte und die OP-Schwestern schwiegen verlegen. »Sehen Sie – ich werde erwarten, daß Sie sagen: Epidermis, also Oberhaut, und Cutis, die Lederhaut. Aber das ist sehr grob betrachtet. Allein die Oberhaut besteht aus vier Schichten: Hornschicht,
Weitere Kostenlose Bücher