Treibhaus der Träume
normal aus. Keine Höckernase, keine Tränensäcke, kein Fettbauch, keine hängenden Lider, nichts.«
Dr. Lorentzen lachte. Er wusch sich die Finger und knöpfte seinen weißen Mantel zu. »Sie werden noch einmal ein sicherer Diagnostiker, Dicki«, sagte er.
Adam verzog den Mund. »Ist das etwas Unanständiges, Chef?«
»Fragen Sie Schwester Laura«, lachte Lorentzen.
»Und hinterher nennt sie mich wieder ein Ferkel. Nein. – Was soll ich dem Mann in der Halle sagen?«
»Führen Sie ihn ins Sprechzimmer. Ich komme gleich.«
Dr. Lorentzen erwartete nach den Schilderungen Adams einen aufgeregten, hysterischen Mann. Verwundert sah er, daß der Besucher sich ruhig aus dem Sessel erhob und sich leicht verbeugte.
»Dr. Egon Braubach«, stellte er sich vor. Er wartete, ob Lorentzen eine Reaktion zeigte, aber diesem schien der Name unbekannt zu sein. »Ich bin Generaldirektor der Vereinigten Saarländischen Stahlwerke.«
Lorentzen erinnerte sich plötzlich. Der Name Dr. Braubach war mehrmals in der Presse genannt worden. Er spielte eine führende Rolle innerhalb der Montan-Union und war vorige Woche nach Paris gefahren zu Besprechungen über Lieferaufträge im EWG-Raum. Lorentzen hätte es überlesen, wenn ihn der Hinweis auf Paris nicht festgehalten hätte. In Paris hatte er einige der schönsten Wochen seines Lebens verbracht. Wo sein Auge auf Paris stieß, da las er weiter.
Er erwiderte die kurze Verneigung. »Lorentzen. Womit kann ich Ihnen helfen, Herr Braubach?«
»Ich komme aus Paris direkt hierher. Ich komme als Patient.«
Dr. Braubach holte wieder sein Taschentuch heraus und tupfte sich die Stirn. »Sie müssen mir helfen, Doktor. Sofort …«
»Gerne.« Lorentzen betrachtete mit schnellen Blicken Dr. Braubach. Er war geübt, auch kleinste Schönheitsfehler zu sehen, aber hier war er ratlos. Das Gesicht war männlich schön, die Haare weiß, die Figur etwas gesetzt, aber doch schlank … nichts, was ins Auge fiel und korrigiert werden mußte. »Aber wo?«
»Hier.«
Dr. Braubach seufzte und gab seinen Ohren mit beiden Händen einen kleinen Stoß von hinten. Wie Segel, die sich plötzlich im Winde blähen, schnellten die Ohren vor. Sie standen ab wie zwei Henkel an einer Tasse. Das schöne, etwas herbe Gesicht Dr. Braubachs wirkte plötzlich wie ein armseliger, abgeschminkter Clown, der vergessen hat, seine Pappohren abzuschnallen.
»Können Sie mich jetzt verstehen?« sagte er leise.
»Ja.« Dr. Lorentzen starrte auf die abstehenden Ohren. »Aber eben lagen sie doch noch an.«
»Von Paris an. Die Fahrt über. Ich habe sie mit Uhu festgeklebt.« Dr. Braubach nickte, als er sah, wie Dr. Lorentzen mühsam ein Lächeln unterdrückte. »Sie haben recht, Doktor. Das ist ein Witz für einen Herrenabend. Aber bei mir ist es todernst.« Er setzte sich und starrte traurig auf den großen Teppich. »Bis gestern habe ich nicht darauf geachtet. Keiner hat es mir gesagt, wie ich aussehe. Selbst merkt man es ja nicht, man ist an sein Gesicht gewöhnt. Ich führe eine glückliche Ehe, ich habe vier Kinder, ich bin vom kleinen Betriebsassistenten bis zum Generaldirektor geklettert; und alle haben es gesehen und geschwiegen. Aber gestern, in Paris …« Dr. Braubachs Stimme begann vor Erregung zu zittern. »Wir sitzen um den Konferenztisch, es geht um große Aufträge, die Millionen Devisen einbringen, wir haben alle den besten Kontakt zueinander, die Herren aus Frankreich, Italien, Holland, Belgien, und da sagte der spanische Gast zu seinem Direktor: ›Sehen Sie sich den Deutschen an. So ähnlich hatte ich auch mal einen Esel. Nur konnte der mit den Ohren wackeln …‹« Dr. Braubach nagte an der Unterlippe. »Sie sprachen spanisch miteinander … und ich kann spanisch … Ich habe mich wegen Unwohlseins entschuldigt und bin sofort abgefahren. Seit gestern mittag sitze ich am Steuer. Ich habe Ihre Anzeige in der Zeitung gelesen und hatte nur einen Gedanken: Hin zu Dr. Lorentzen. Mit diesen Ohren setze ich mich nicht mehr an den Konferenztisch. Können Sie das verstehen?«
»Ja«, antwortete Dr. Lorentzen.
»Und Sie können mir helfen? Sie können mir sofort die Ohren anlegen? So, daß niemand etwas sieht?«
»Natürlich.«
»Das sagen Sie so einfach, Doktor. Sehen Sie sich doch meine Riesenohren an! Erst jetzt habe ich sie mit Bewußtsein im Spiegel gesehen. Ich habe mich geschämt, damit neunundvierzig Jahre herumgelaufen zu sein.«
Dr. Lorentzen trat näher, beugte sich zu Dr. Braubach hinab und untersuchte
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