Treibhaus der Träume
Glück haben wir nur einmal im Leben.« Dr. Lorentzen vernähte das letzte Transplantat und deckte dann den Rücken mit Zellstoff ab. Rosa Ballek regte sich, die Narkose ließ nach. Anerkennend nickte Lorentzen der Narkoseschwester zu. Sie hatte die Anästhesie genau gesteuert. Draußen zogen grauweiße Wolken über den Himmel. Die Luft war drückend. Das Blut pochte in den Schläfen. Föhnwetter.
Dr. Lorentzen richtete sich auf. Er war abgespannt, um seine Mundwinkel zogen sich zwei tiefe Falten. Langsam ging er zum Waschbecken, während die Assistenten Rosa Ballek verbanden.
»Er hat ja auch Nerven«, flüsterte der II. Assistent.
Der I. Assistent nickte. »Selbst Götter können schwanken. Er steht jetzt sieben Stunden am OP-Tisch.«
Rosa Ballek wurde, auf dem Bauch liegend, hinausgerollt. Sie war wieder wach. »Machen Sie eine Reihe Abzüge, Herr Doktor!« rief sie mit ihrer dröhnenden Stimme. »Ich will sie allen Bekannten schicken. So'n Viermaster stirbt ja aus.«
Und lachend winkte ihr Dr. Lorentzen nach.
Am Abend war Ilse Patz wieder da. Ihr kleiner Sportwagen heulte in den Garagenhof. Sie bremste hart, sprang aus dem Sitz und rannte ins Haus. Marianne, die glaubte, sie käme noch zum Abendessen, wurde enttäuscht. Ilse blieb auf ihrem Zimmer.
»Ich gehe hinauf zu ihr«, sagte Lorentzen, als sie zu Ende gegessen hatten. »Wenn Klarheit herrscht, kann sie sich nicht mehr benehmen wie ein unartiges Kind. Klarheit ist immer der beste Weg.«
»Ich sage es ihr.« Marianne drückte Lorentzen auf den Stuhl zurück. »Schließlich bin ich eine Erklärung schuldig. Wir kennen uns jetzt bald über zehn Jahre.«
»Gut. Ich warte auf dich, Liebling.«
Er gab ihr einen Kuß und ging. Marianne zögerte. Sie hatte Angst vor Ilse – das hatte sie Lorentzen verschwiegen. Sie versuchte es deshalb zunächst über das Telefon, aber Ilse Patz hob den Hörer nicht ab, solange Marianne auch durchklingeln ließ. Da nahm sie allen Mut zusammen und stieg die Treppe hinauf zu Ilses Zimmer.
Sie klopfte, aber niemand antwortete. Daß Ilse im Zimmer war, sah sie an dem dünnen Lichtstreifen, der unter der Tür in den dunklen Flur fiel. Auch spielte leise das Radio.
Sie klopfte stärker und rief: »Ilse … mach auf … Komm, sei kein Frosch! Mach auf! Ilse!«
Schritte. Ein Bums gegen die Tür, wie ein Fausthieb.
»Laß mich in Ruhe! Geh weg!«
»Ilse, wir haben viel miteinander zu reden!«
»Geh weg! Mir wird übel, wenn ich deine Stimme höre!«
Schritte. Sie entfernten sich. Dann kreischte das Radio auf, in voller Lautstärke.
Marianne biß die Zähne zusammen und senkte den Kopf. Langsam ging sie in ihr eigenes Zimmer und schloß hinter sich ab. Sie setzte sich im Dunkeln ans Fenster und sah hinüber zur Klinik und zu dem kleinen weißen Bungalow, wo Lorentzen auf sie wartete.
Dunkel lag die Terrasse am Berg. Er wartet drinnen, dachte sie. Eine Flasche Sekt hat er kaltgestellt, und die Jalousien sind wieder heruntergelassen, und nur das Mondlicht schleicht sich durch die Ritzen und über unsere Körper …
O Lutz …
Sie ging in dieser Nacht nicht hinüber. Sie saß am Fenster und starrte hinüber in die stille Dunkelheit. Zweimal – einmal um 23 Uhr und einmal gegen 2 Uhr morgens – schellte das Telefon. Sie ging nicht ran. Sie hielt die Ohren zu und warf sich dann weinend aufs Bett.
Wir sind in einem Teufelskreis, Lutz, schrie sie in sich hinein. Wir lieben uns, aber unsere Liebe zerstört unser Lebenswerk … die Schönheitsfarm und deine kosmetische Klinik.
Was sollen wir tun?
Untergehen in unserer Liebe? Oder flüchten, irgendwohin, und von vorn anfangen? Es wäre für dich das dritte Mal.
Ist das die Liebe wert?
Du weißt nicht, wozu Ilse fähig ist, wenn ein Mann ihr gefällt. Wölfe und Tiger sind Stofftiere dagegen.
Sie ahnte nicht, daß gerade zu dieser Stunde Dr. Lorentzen diese ganze Wahrheit erschreckend begriff.
Was niemand beobachtet hatte: Ilse Patz war nicht allein gekommen. Hinter ihrem kleinen, rasenden Sportwagen fuhr ein dicker, schwarzer Wagen her, bog an der Weggabelung ab und erklomm den Klinikhügel. Im Rückspiegel sah ihm Ilse Patz nach. Ihre dunklen Augen waren kalt, wie eingefroren.
»Mach's gut«, dachte sie. »Ich habe noch nie um einen Mann so gekämpft. Keiner war es bisher auch wert.«
Dr. Lorentzen war überrascht, nach seiner Rückkehr vom Essen in seinem Sprechzimmer Licht zu sehen. Vom Weg her sah er es und blickte sofort auf die Uhr. Patienten waren nicht
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