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Treibland

Treibland

Titel: Treibland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Till Raether
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Filoviren, die wir bisher kennen, werden nicht über die Atemluft übertragen.» Sie machte eine ungeduldige Handbewegung, um ihn zu schnellerem Gehen aufzufordern. Er konnte nichts dagegen tun, dass seine Schritte immer langsamer wurden. Er zog die grün-weiße Wegwerfmaske aus Papier über Nase und Mund und schämte sich kurz, weil er wusste, dass er jetzt für alle anderen Menschen an Bord aussah wie jemand, der Angst hatte, sich bei ihnen anzustecken.
    «Ich bin wahrscheinlich doppelt so kontaminiert wie jeder andere hier», sagte er, während sie einem Absperrungsband folgten, mit dem die Crew ihnen den kürzesten Weg zum Ausgang markiert hatte.
    «Das stimmt», sagte Schelzig unbarmherzig. «Aber die Vorschrift gilt erst seit gestern, achtzehn Uhr. Außerdem wirkt der einfache Schutz in beide Richtungen: Auf diese Weise halten Sie nicht nur die Formalitäten ein, sondern Sie verhindern auch, dass andere sich bei Ihnen ein Virus mit kurzer Inkubation und hoher Letalität einfangen.»
    «Effizient», sagte Danowski. «Ich liebe es, alles richtig zu machen.»
    Als sie das Ende des Ganges erreicht hatten, sah er, dass sich hinter der Absperrung lose Grüppchen von Passagieren und Crewmitgliedern versammelt hatten. Sie betrachteten ihn und Schelzig voll Abscheu und sprachen über sie, als wären sie nicht da.
    «Scheiß Nazi-Ärzte in ihren Schutzanzügen.»
    «Wie im KZ ist das hier!»
    Es waren zwei Männer Ende fünfzig in Sweatshirts, unter denen sie Hemden trugen. Fleischige Hände, vor Wut dunkle Gesichter, offenbar nicht gewohnt, dass jemand anders als sie anderen etwas verbot. Danowski blieb stehen.
    «Wirklich? Das ist das Erste, was Ihnen einfällt? Nazi-Ärzte und KZ s?»
    Schelzig zog ihn am Ärmel. Er fühlte sich leicht, seit er den Raumanzug nicht mehr trug.
    «Ist doch ein einziger Menschenversuch hier!», schrie einer der Männer. «Nazi-Schweine!»
    «Kommen Sie jetzt», zischte Schelzig. Danowski schüttelte ihren Arm ab und raffte sich auf, ihrem Tempo zu folgen. Da sah er links von sich, gegenüber von den feindseligen Passagieren, eine Wand voller Fotos. Darauf Hunderte von Menschen: zum Teil festlich herausgeputzt mit dem Kapitän des Schiffes, zum Teil in normaler Kleidung, offenbar kurz vor der Einschiffung, noch unten im Terminal. Auf jedem der ungefähr tausend bis zweitausend Fotos waren mindestens zwei Menschen abgebildet, niemals jemand allein.
    Kann sein, dachte Danowski, dass jemand wie Carsten Lorsch dem Foto mit dem Kapitän entgeht, aber bei der Einschiffung ist man wahrscheinlich zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt, um zu verhindern, dass vor diesem blauen Fotohintergrund mit Reedereiwappen jemand ein Bild von einem macht. Er lächelte.
    «Tut mir leid», sagte er zu Tülin Schelzig. «Ich bin nicht sicher, ob Sie’s noch vor zwölf ins Labor schaffen, wenn Sie unbedingt auf mich warten wollen. Das hier kann dauern.»
    Er rief sich das nicht gerade bemerkenswerte Gesicht von Carsten Lorsch ins Gedächtnis und fing an, es auf den Fotos von der Einschiffung zu suchen. Schelzig seufzte. Schon nach wenigen Sekunden verschwammen die Gesichter all der leicht gestressten, aber dennoch zuversichtlichen Passagiere vor seinen Augen; eine Masse von Menschen in frischer, praktischer Kleidung, mit Handgepäck, die Reiseunterlagen parat, wie ein einziges vielköpfiges Wesen, das mit jedem Wimpernschlag sein Gesicht veränderte.
    «Vielleicht ein Zufallstreffer», sagte er und rieb sich die Augen. «Gucken Sie doch mal mit, Sie wissen doch auch, wie Lorsch aussah.»
    «Sagen wir mal: Ich weiß, wie er jetzt aussieht», widersprach Tülin Schelzig.
    «Ich habe eine bessere Idee», schlug er vor. «Wir suchen nach einer rothaarigen Frau Mitte, Ende dreißig.»
    «Wieso das denn plötzlich?»
    «Hier hängen ungefähr fünfhundert Bilder von Durchschnittstypen Anfang fünfzig mit Brille, aber wahrscheinlich nur ganz wenige von rothaarigen Frauen. Also ist es rein rechnerisch einfacher, nach einer rothaarigen Frau zu suchen. Vielleicht bringt die uns was, vielleicht nicht. Aber dann haben wir nicht viel Zeit verloren.»
    «Wir? Ich bin rein rechnerisch kurz davor, die Geduld zu verlieren.» Aber es dauerte keine halbe Minute, dann hatte Schelzig ein Foto mit einer relativ jungen rothaarigen Frau gefunden. Geübtes Mikroskopauge, dachte Danowski. Als sie ihm das Foto zeigte, sah sie ihn einen Moment an, als könnte er zaubern oder eher hexen. Neben der Rothaarigen stand Carsten Lorsch:

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