Treibland
Khakihosen, hellblaues Hemd unter dunkelblauem Pullover, ein graues Sportsakko über den Arm gelegt. Er lächelte, aber seine Augen sahen ernst und gespannt aus. In der linken Hand trug er eine braune Aktentasche. Die Frau neben ihm hatte ein graublaues Sommerkleid an, darüber eine offene Strickjacke. Sie hatte ein rundes Gesicht mit hohen Wangenknochen und einem breiten Mund, sie lachte viel echter oder viel besser gespielt als die meisten auf den anderen Fotos. Anziehend; jemand, in dessen Nähe man gern wäre. Dieselbe Frau, die Danowski gestern, bei seinem ersten Besuch an Bord der «Großen Freiheit», an der Balustrade hatte weinen sehen, als Einzige. Das Gesicht, das ihm aufgefallen war, weil es eine Emotion zeigte, die stärker war als die auf allen anderen Gesichtern um sie herum. Ein Glückstreffer.
«Wie haben Sie das gemacht?», fragte Schelzig.
«Ich habe die Frau gestern hier weinen gesehen», sagte Danowski. «Und wer sollte hier einen Grund zum Weinen gehabt haben, wenn nicht eine Frau, die vermutlich die Begleiterin von Carsten Lorsch war. Die Geliebte. Haben Sie die Kondome in der Kabine gesehen?»
Als er das Bild von der Wand nehmen wollte, stellte sich ihm ein Mann in Schiffsuniform in den Weg und sagte auf Englisch, Danowski könne das Bild für sechzehn Euro erwerben. Danowski lachte und holte sein Telefon aus der Tasche, um es abzufotografieren. Der Mann hielt ihn am Arm fest und wies auf ein Schild, auf dem stand, im Bereich des Photoshops sei Fotografieren verboten. Danowski erschloss sich der betriebswirtschaftliche Zusammenhang, er fand ihn jedoch inhaltlich paradox. Besonders störte ihn, von jemandem am Arm festgehalten zu werden. Es war nur eine kleine Geste, aber sie gab ihm das Gefühl, sich hier in einem rechtsfreien Raum zu bewegen. Er schüttelte die Hand des anderen ab und machte sein Foto. Schelzig beobachtete die unangenehme kleine Szene ungerührt, mit nicht mal wissenschaftlichem Interesse. Danowski spürte, dass der andere ihn nicht daran hindern würde, sein Telefon mit der Aufnahme einzustecken: zu viel Drama, zu viel Aufsehen. Er nickte ihm zu und merkte sich die Abneigung in den Augen des Uniformierten.
Im Gehen wurde Danowski klar, dass dies nicht sein letzter Besuch an Bord des Pestschiffes bleiben würde. Um zu erfahren, wer Carsten Lorsch war und warum er gestorben war, musste er die Frau finden, die ihn begleitet hatte und die womöglich auch infiziert war.
15 . Kapitel
«Letztendlich ist das jetzt doch so ’ne Art Soko geworden», sagte Finzi und studierte den Essensplan im Intranet. «Wir müssen irgendwie zeigen, dass uns das alles nicht völlig egal ist, auch wenn wir eigentlich nichts machen können. Aber wir sollen’s auch nicht übertreiben. Sagt die Chefin.»
«Meinetwegen können wir’s gerne Soko nennen», sagte Danowski. «Hauptsache, es gibt keine Besprechungen.»
«Was Neues von der Rothaarigen?»
«Ich versuche, über die Reederei an den Namen zu kommen. Beim Einchecken werden die Leute für die Bordkartenkontrolle fotografiert. Es müsste uns also jemand nur die ungefähr tausendsechshundert Bilder der aktuellen Passagiere schicken. Angeblich kann das nicht vom deutschen Büro autorisiert werden, die Anfrage liegt jetzt in der Reedereizentrale in Genua. Der Zugang müsste aber heute Mittag kommen.»
«Und dann?»
«Die haben eine Datenbank, in die wir uns einloggen dürfen. Aber die kann man nicht mal nach Geschlecht sortieren, geschweige denn nach Haarfarbe.»
Finzi seufzte. Danowski wiegte sein Haupt. Ihre Blicke trafen sich. Finzi hob die Augenbrauen und zeigte mit dem Daumen über die Schulter, wo Molkenbur und Kalutza versuchten, jemanden auf dem Polizeipräsidium in Panama-Stadt zu erreichen, vergeblich, wie es schien, denn ihr aus dem Google Translator abgelesenes Spanisch wurde immer erschöpfter und fragmentarischer. Die beiden hatten eine Magnetwand aufgestellt, auf der sie die Reiseroute der « MS Große Freiheit» mit Internetausdrucken markiert hatten: der Wikipedia-Eintrag zu Helgoland, die Touristenseite von Edinburgh, ein paar Bilder von Newcastle mit alten Gebäuden, Wappen und Brücken, Informationen zu Amsterdam. Danowski nickte.
Während Molkenbur und Kalutza nach kurzer ritueller Gegenwehr die Datenbank der Reederei durchsuchten, beschloss Danowski, Kathrin Lorsch mit dem Foto ihres Mannes in Begleitung der Rothaarigen zu konfrontieren, das er sich auf den Rechner geschickt und ausgedruckt hatte.
Auf dem
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