Treibland
die Umgebung.»
«Wer sind diese Kinder?», fragte Danowski. Es entstand eine kurze Stille, die Finzi offenbar weder interessant fand noch aushalten konnte, denn er sagte: «Sie malen also erst mal Skelette, verstehe ich das richtig?»
Kathrin Lorsch nickte. «Krank», sagte Finzi anerkennend. «Und wofür der ganze Aufwand?»
«Sie kriegen dadurch ein ganz anderes Leuchten», sagte sie. «Das Leuchten der Vergänglichkeit, würde ich sagen.»
«Sie haben meine Frage nicht beantwortet», mischte sich Danowski ein.
«Das Bild ist für die Stiftung Gesundes Kind, für deren Foyer oder so. Das Foto haben mir die Leute von der Stiftung gegeben. Die werden übrigens jeden Augenblick hier sein, um die Arbeit abzuholen. Vielleicht zeigen Sie mir jetzt, was Sie mir zeigen wollten.»
Er hatte das Bild in der Mitte gefaltet, und als er es aus der Innentasche seines Sakkos holte, zeigte er ihr zuerst die Hälfte, auf der Carsten Lorsch zu sehen war.
«Ist das Ihr Mann?» Sie nickte. Dann klappte er die andere Bildhälfte um, sodass man sah, wer neben ihm stand. Über Kathrin Lorschs Antlitz huschte das kleine durchsichtige Tier, das zwei Namen hatte: Überraschung und Gewissheit.
Heute war das Atelier licht und klar, trotzdem nahm sie Danowski das Foto aus der Hand und ging damit zum Fenster, als wollte sie es so genau wie möglich studieren. Zeit gewinnen, vermutete er.
«Kennen Sie die Frau?»
«Nein», sagte sie, ohne den Blick von der Fotografie zu wenden. Dann, nach einer Pause: «Da hätte ich stehen sollen.»
«Aber Sie konnten ja nicht», sagte Finzi und deutete auf das Gemälde. Sie blickte auf, als erinnerte sie sich erst jetzt an die Polizisten in ihrem Atelier. Sie nickte und gab Danowski das Foto zurück. Dann fuhr sie fort, den provisorischen Rahmen der Leinwand an den Ecken mit Schaumstoffwinkeln zu schützen, um das Bild zu verpacken.
«Aber Sie wussten Bescheid», sagte Danowski, der eine seltsame Abneigung dagegen hatte, die Wörter «Affäre» oder «Geliebte» auszusprechen; eine Mischung aus Diskretion, Klischeemüdigkeit, vielleicht Prüderie, vor allem aber gleißender Unerfahrenheit, die er in solchen Momenten verspürte: Leslie und er waren seit über zwanzig Jahren zusammen. Er fand es ungerecht, wie flach und einfältig das Wort «treu» klang.
«Bescheid», sagte sie mit einem Anflug von Verächtlichkeit und hielt inne. «Ich habe was geahnt.»
«In der Kabine Ihres Mannes haben wir einen Nagel gefunden, den Sie ihm mitgegeben haben.»
«Na und?»
«‹Mit Köpfen› stand auf der Karte.»
Sie sah ihn an, als habe er den relativ unverbindlichen Flirt verdorben und verraten, den sie miteinander hätten haben können.
«Ja, das war ein Glücksbringer. Carsten hat vor zehn Jahren einen Whisky einlagern lassen, der jetzt zur Verkostung und Vermarktung reif gewesen wäre. Das ist immer eine heikle Sache: Niemand kann sagen, wie der Whisky schmeckt. Wenn er enttäuschend ist, muss man sich mit der Destillerie auf einen niedrigen Preis einigen, aber die Destillerie wird natürlich bestreiten, dass er minderwertig ist. Wenn er sensationell geworden ist, wird die Destillerie versuchen, aus dem vor zehn Jahren vereinbarten Preisrahmen auszubrechen. So was kann ewig in der Luft hängen, mit endlosen Nachverhandlungen und manchmal sogar mit der Gefahr, betrogen zu werden. Oder bestohlen. Ich habe ihm gewünscht, dass es ihm gelingt, Nägel mit Köpfen zu machen.»
Während sie ihren kleinen Vortrag hielt, war es ihr gelungen, Finzi durch ein paar Kinnbewegungen dazu zu bringen, mit ihr das Bild von der Staffelei zu nehmen und es weiter zu verpacken. Danowski stand daneben, die Hände in den Taschen, und rührte sich nicht. Er spürte sein Telefon vibrieren.
«Sind Sie verheiratet?», fragte Kathrin Lorsch gebückt.
«Na und?», sagte Danowski.
«Vielleicht kennen Sie so was. Kleine Glücksbringer und so.»
«Ich kenne Ihren Nagelfetisch, der frische, kaum oxidierte Nägel in den Geschlechtsteilen hat und der aussieht wie Ihr Mann. Wohl eher der klassische Unglücksbringer. Und ich vermute, dass der Nagel, den ich in der Kabine Ihres Mannes gefunden habe, so eine Art Verbindung zur Verwünschungskraft des Fetischs herstellen soll. Anders kann ich mir das nicht erklären.»
«Wissen Sie, was die Tsih in Ghana sagen?»
«Mund zu, es tsiht?»
«Man schneidet nicht jemandem den Kopf auf, um zu sehen, was darin vorgeht.» Dann packte sie weiter.
«Haben Sie eine Ahnung», sagte Finzi dazu in
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