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Treibland

Treibland

Titel: Treibland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Till Raether
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er die Bücher untersuchte, die er in der oberen Nachttischschublade gefunden hatte. Unterhaltungsromane. In der Schublade darunter fand er eine Packung Papiertaschentücher, noch ein Kondom und einen grauen Briefumschlag, Standardformat, nicht zugeklebt. Vorn auf dem Umschlag stand in einer Schrift, die ihm bekannt vorkam, «Viel Glück.», ohne Ausrufezeichen, mit einem Punkt, was ein wenig kalt und zugleich prätentiös aussah. Kathrin Lorsch, die gleiche Handschrift wie in ihrem Notizbuch. Im Umschlag steckte eine gleichfarbige Briefkarte, auf die ein silberner Nagel geklebt war, darunter: «Mit Köpfen!»
    Danowski legte sich den Umschlag und die Karte zurecht und fotografierte beides. Schelzig sah ihm über die Schulter und sagte: «Nägel mit Köpfen machen.»
    «Ratefüchse aufgepasst», stimmte er zu.
    «Können Sie damit was anfangen?», fragte sie.
    «Der Nagel kommt mir bekannt vor.»
    «Woher?» Er antwortete nicht und bückte sich noch einmal ganz auf den Boden, um unter das rechte Bett zu sehen. Gerade, als er wieder hochkommen wollte, schimmerte etwas hinten an der Wand unter dem Bett, was er zuerst für eine Reflexion in seinem Sichtfenster hielt.
    «Sie sollten dann auch mal langsam zum Ende kommen», sagte Schelzig. «Ungeübter Atmer wie Sie.»
    Danowski streckte seinen Arm aus, aber er war zu kurz. Er stand auf und zog das Bett von der Wand, es war erstaunlich leicht, oder vielleicht verlieh die Aussicht, dieses Schiff bald verlassen zu können und trotzdem was über Kathrin Lorsch herausgefunden zu haben, ihm ungeahnte Kräfte.
    «Ich bin nicht davon ausgegangen, dass Sie hier die Kabine umräumen wollen.»
    «Sie können mich kaum daran hindern, denn hier hat keiner von uns beiden was zu sagen», tröstete Danowski sie. Er bückte sich hinters Bett und holte eine kleine Fotografie hervor, Standardformat. Er betrachtete das Foto durch das Sichtfenster seines Schutzanzugs. Eine Insel, dunkel, felsig und bewaldet, auf der ein einzelnes weißes Gebäude zu erkennen war, vielleicht ein Leuchtturm, vielleicht eine Kirche. Die Insel konnte nicht länger als zwei- oder dreihundert Meter sein, sie lag offenbar in einem Sund oder vor einem Küstenstreifen, denn im Hintergrund war dunkles, braun-grünes Land erkennbar, flach, aber geschwungen. Die Insel lag in tiefblauem Wasser, unter dichten, rot-orange leuchtenden Wolken, der Himmel darüber noch hell, aber alles deutlich sichtbar, die abendliche Farbpalette eines Sonnenuntergangs, der gerade vorüber war.
    «Blaue Stunde», sagte Danowski zu sich selbst und spürte, wie Schelzig ihm über die Schulter sah. Er hielt das Bild so, dass das Licht vom Balkon darauffiel, und machte seinerseits ein Foto davon. Dann drehte er es um. Auf der Rückseite stand in einer kleinen, losen Handschrift: «Slàinte mhath!» Auch davon machte er ein Bild. Er erinnerte sich vage an die Trinkrituale, die Finzi früher zelebriert hatte, all die unterschiedlichen Trinksprüche für unterschiedliche Arten von Alkohol, je nach Anlass und Herkunft. Im weitesten Sinne stand hinten auf dem Bild also «Prost» auf Schottisch, vermutlich in der Handschrift von Carsten Lorsch. Dies war der erste wirklich persönliche Gegenstand, den er von ihm gefunden hatte und beinahe in den Händen hielt. Ein erster Blick auf einen Mann, der keine Spuren hinterlassen wollte.
    «Das heißt so viel wie ‹Gute Gesundheit›», sagte Schelzig.
    Er stand auf und merkte, wie ihm der Rücken weh tat, unten, gegen Ende der Wirbelsäule, dort, wo er ihm eigentlich nicht weh tun sollte. Unbequem gekniet im Schutzanzug. Gestern Nachmittag auf den Parkplatz gestürzt. Oder dann eben doch einfach das Alter. Es gab eine Vielzahl von möglichen Erklärungen für ein wenig Rückenschmerzen im Lendenwirbelbereich. Darunter am Ende auch die, dass er sich gestern Morgen womöglich mit einem hochaggressiven Virus angesteckt hatte. Das jetzt fieberhaft dabei war, seine DNA in Danowskis Zellen zu reproduzieren und sie dabei der Reihe nach in funktionsunfähige Gewebeklumpen zu verwandeln, die sein Körper gegen Ende durch alle möglichen Öffnungen ausscheiden würde. Wobei diese Erklärung nicht die rationalste war.
    «Sie wissen ja auch viel», sagte er und dachte an die Kollegin Ehlers aus der Rechtsmedizin, von der er seit gestern nichts mehr gehört hatte. «Scheint bei Medizinern eine Berufskrankheit zu sein.»
    Sie standen in ihren Raumanzügen herum, als wären sie vor einer Weile auf dem Mond gelandet und

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