Treibland
leutseligem «Ich könnte Ihnen da ein paar Geschichten erzählen!»-Ton.
«Ich glaube, dass Sie Ihrem Mann ein Unglück gewünscht haben, weil er Sie betrogen hat», sagte Danowski.
«Wenn Sie einen Staatsanwalt mit dieser Nagelgeschichte überzeugen können: Lassen Sie’s drauf ankommen.»
Danowski griff noch einmal in seine Jackentasche. Er zog das Bild von der abendlichen Insel mit dem weißen Gebäude hervor, das er ebenfalls im Büro ausgedruckt hatte, und hob es ins regenweiche Mittagslicht, obwohl er sich wenig davon versprach. Doch diesmal landete ein anderer Schmetterling auf Kathrin Lorschs Gesicht: einer, dessen Flügel in den Farben Erkennen und Erstaunen leuchteten.
Sie ließ Finzi mit dem Verpacken allein und stellte sich neben Danowski, um das Foto zu betrachten. Fast ehrfürchtig; sie schien nicht zu wagen, es in die Hand zu nehmen.
«Woher haben Sie das?»
«In der Kabine Ihres Mannes abfotografiert.»
Sie schüttelte leicht den Kopf. Dann sagte sie lange nichts. Man hörte nur, wie Finzi mit Blasenfolie und Styropor hantierte, als wäre er deshalb gekommen. Danowski roch das Verpackungsmaterial und wartete gespannt auf ihre Reaktion.
«Das war der Traum meines Mannes», sagte sie schließlich und wandte anscheinend mit Mühe den Blick zu ihm. «Verschwinden. Dahin.»
«Wo ist das?»
«Inchkeith. Eine kleine Insel in der Nähe von Edinburgh, im Firth of Forth. Das war sein Treibland, so hat er das genannt.»
«Treibsand?»
«Treibland. Mein Mann war ja Segler, unser Boot liegt im Yachthafen.» Angeberin, dachte Danowski. «Treibland sind Nebelbänke auf See, die wie Land aussehen», fuhr sie fort. «Flüchtig und unerreichbar.»
Danowski fiel der alte Polizistenwitz ein: Kennen Sie den Verdächtigen? – Ja, aber nur flüchtig. Den hätte er jetzt eigentlich von Finzi erwartet.
«Und dahin wollte Ihr Mann sich verflüchtigen, nach Inchkeith?»
«Auf der Insel gibt es nur einen unbemannten Leuchtturm, automatisch betrieben, und ein paar leerstehende Wirtschaftsgebäude. Niemand lebt dort. Das Land gehört einem schottischen Millionär, der irgendeine Getränkeverpackung erfunden hat oder so was. Mein Mann hat immer davon geträumt, Inchkeith zu kaufen und dort eine eigene Destillerie aufzubauen und in fünfzehn, zwanzig Jahren mit einem Inchkeith Single Malt die Welt zu verändern.»
«Kann man mit Whisky die Welt verändern?», fragte Danowski.
«O ja», sagte Finzi dumpf hinter einer quadratmetergroßen Pappe. «Kommt nur drauf an, wie und welche.»
«In dem Moment, wo Sie einen neuen Whisky destillieren, wissen Sie, dass Sie mindestens fünf bis sieben, eher aber zehn bis fünfzehn Jahre warten müssen, bevor Sie die ersten Fässer öffnen und die ersten Flaschen verkaufen können. Der ganze Zauber des Whiskys entsteht durch seine Lagerung. Das hat meinem Mann gefallen: Etwas zu tun und es weiter zu tun und Jahre zu warten, bis man ein Ergebnis sieht. Warten und fort sein, auf dieser Insel, abgeschlossen, aber in Sichtweite des Landes.»
«Lag das auf der Route der ‹Großen Freiheit›, wissen Sie das?»
«Ja. Das war ein Grund, warum wir die Kreuzfahrt machen wollten. Für mich der Hauptgrund. Um bei der Einfahrt nach Edinburgh im Meeresarm an Inchkeith vorbeizufahren und zu schauen und uns zu fragen, ob wir noch eine gemeinsame Zukunft haben.» Sie schob den Unterkiefer vor und hob kurz die Hand vors Gesicht, als wollte sie den harten Zug verbergen, der sich darauf ausgebreitet hatte. «Die Frage ist ja nun auf verschiedenste Weise beantwortet worden.»
Während sie die Polizisten zur Tür brachte, klingelte es, und sie öffnete das Tor ohne einen Blick auf den kleinen Bildschirm neben der Garderobe. Draußen fuhr ein weißer Fiat-Lieferwagen in die gekieste Einfahrt, das fröhliche Kinderlogo der Stiftung auf den Seitenwänden: der Michel, die Kirche in der Neustadt, vereinfacht und mit breitem Strich gemalt wie von einem Kind, auf einer stilisierten Wiese mit ein paar Blumen, die so hoch waren wie der Kirchturm.
Die immer mit ihrem Michel, dachte Danowski sauertöpfisch nebenhin.
Der Fahrer grüßte kompromisslos jovial und half Finzi, das verpackte Bild auf die Ladefläche zu schieben. Danowski ärgerte sich, dass er kein Foto davon gemacht hatte. Dann standen sie zu viert hinter dem Lieferwagen, als müsste jemand ein paar Worte sagen. Es begann wieder zu nieseln. Der Fahrer nickte und gab ihnen dann reihum die Hand, weil Danowski sich und Finzi nicht als
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