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Treue Genossen

Treue Genossen

Titel: Treue Genossen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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den Körper ein. Doch es muss innerhalb von neun Tagen verabreicht werden. Das war bei mir nicht der Fall. Mittlerweile hat es keinen Sinn mehr, ins Krankenhaus zu gehen.«
    »Was ist passiert? Wie sind Sie verstrahlt worden?«
    »Oh, das ist eine andere Geschichte.«
    »Nicht unbedingt. Drei Männer sind mit Cäsium vergiftet worden: Ihr Russe, sein Geschäftspartner und Sie. Glauben Sie nicht, dass da ein Zusammenhang besteht?«
    »Ich weiß es nicht. Das hängt wohl von der Sichtweise ab. Die Geschichte geht seltsame Wege, finden Sie nicht? Wir haben die Evolution durchlaufen, und jetzt kehrt sich die Entwicklung um. Alles geht vor die Hunde. Es gibt keine Grenzen und keine Beschränkungen mehr. Keine Schranken, keine Verträge. Selbstmordattentäter, Kindersoldaten. Aids, Ebola, Rinderwahn. Alles geht vor die Hunde. Ich gehe vor die Hunde.«
    Karel war in einer so viel schlimmeren Verfassung, als es Pascha oder Timofejew gewesen waren, dass Arkadi sich zu der Frage genötigt sah: »Haben Sie irgendwie Cäsium zu sich genommen? Und wie?«
    »Durch Schusseligkeit. Ich habe innere Blutungen. Keine Blutplättchen. Keine Magenschleimhaut. Entzündet. Ich habe diesem Treffen nur zugestimmt, um Ihnen zu sagen, dass meine Familie nichts damit zu tun hat. Auch Dymtrus und Taras haben nichts damit zu tun.« Ein krampfartiger, feuchter Husten zwang ihn zu einer Unterbrechung. Die Woropais, eifrig bemüht wie Krankenschwestern, wischten ihm das Blut vom Mund. Er hob den Kopf und lächelte. »Hier habe ich es viel besser als im Krankenhaus. Hier habe ich mein Theaterdebüt in Peter und der Wolf gefeiert. Ich habe den Wolf gespielt. Ich habe mich für einen Wolf gehalten, bis ich einem richtigen begegnet bin.«
    »Wen meinen Sie?«
    »Das werden Sie noch früh genug erfahren. Aber wir schweifen ab. Wir wollten nur über den Russen reden, den ich gefunden habe.«
    »Sie haben seinen Wagen abgeschleppt. War etwas drin? Papiere, Karten, eine Wegbeschreibung?«
    »Nein.«
    Arkadi zog seine Notizen zu Rate. »Seine Uhr. Sie sagten, es sei eine Rolex gewesen.«
    »Ja. Oh, das war hinterlistig. Sie haben mich erwischt.« Katamai hob einen Arm hoch und zeigte eine goldene Rolex wie ein wertloses Schmuckstück.
    Dymtrus schlug Arkadi mit der Faust auf den Hinterkopf. Offensichtlich hatte er für Majestätsbeleidigung nichts übrig.
    »Nicht doch«, beschwichtigte ihn Katamai, »fair ist fair. Er hat mich erwischt. Aber das spielt ja sowieso keine Rolle mehr.«
    »Wirklich nicht?«, fragte Arkadi.
    »Geben Sie Dymtrus die Pistole wieder. Es ist ihm peinlich.«
    »Selbstverständlich.«
    Arkadi gab die Waffe zurück, und Dymtrus murmelte: »Gretzky.«
    Katamai schöpfte Atem. »Also gut, es war eine Karte im Wagen, außerdem ein Passierschein für die Kontrollpunkte und eine Wegbeschreibung.«
    »Eine Wegbeschreibung zum Dorf?«
    »Ja.«
    »Wo sind die Karte und die Beschreibung geblieben?«
    »Keine Ahnung.«
    »Wann haben Sie die Sachen entdeckt? Als Sie die Leiche fanden, oder als Sie den Wagen abschleppten?«
    »Als wir die Leiche fanden.«
    »Sie sagen, Sie hätten die Leiche gefunden, als Sie die Häuser abklapperten. Das Friedhofstor ist fünfundzwanzig Meter vom nächsten bewohnten Haus entfernt. Was wollten Sie denn am Tor?«
    »Weiß ich nicht mehr.«
    »Wer war der Siedler? Hat er Sie zum Tor geführt?« Katamai keuchte wie ein Sprinter. Er hielt inne, bis er wieder zu Atem kam. »Hulak.«
    »Boris Hulak? Der Tote aus dem Kühlsee?«
    »Liegt doch auf der Hand. Zufrieden?« Karel Katamai sank zurück in die Kissen, so dass er nicht mehr zu sehen war. »Und Sie?«
    »Der Wolf«, murmelte Katamai. »Die Geschichte meines Lebens.«
    Als Arkadi am Sarkophag vorbeifuhr, spürte er, wie sich das Ungeheuer hinter Stahlbeton und Stacheldraht regte. Aber das Ungeheuer war nicht nur dort. Es fuhr auch hier auf dem Riesenrad, wirbelte dort durch eine Blutbahn, sickerte in den Fluss, setzte sich in einer Million Knochen fest. Was für ein Leitmotiv gab es für eine solche Bestie? Ein unheilvolles Cello. Ein einziger Ton. Lange ausgehalten. Fünfzigtausend Jahre lang. Je näher Arkadi der Abzweigung zu Evas Hütte kam, desto eindringlicher schienen ihn die Tafeln an der Straße vor der Strahlung warnen zu wollen. Er musste nicht zurückgehen. Sie würde keine Fragen beantworten. Sie komplizierte alles. Nach so engem Kontakt mit Karel Katamai hatte ein Teil von ihm eigentlich nur noch das Bedürfnis, seine Kleider zu verbrennen, sich mit

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