Treue Genossen
eleganten Bewegung drückte er ein Handtuch dagegen. Nach den braunen Flecken zu urteilen, hatte er es zuvor schon benutzt.
»Eine Sommergrippe«, erklärte Katamai. »Sie wollen also etwas über den toten Russen wissen, den ich gefunden habe?«
»Ja.«
»Da gibt es nicht viel zu sagen. Irgendein alter Arsch, über den ich in einem Dorf gestolpert bin.«
Seine heisere leise Stimme verlieh der Unterhaltung eine vertrauliche Note, als seien sie Theaterleute und diskutierten über eine Inszenierung, die hier auf dieser Bühne gezeigt werden sollte. Katamai berichtete, er habe den Russen nie zuvor gesehen und nicht wissen können, dass er Russe sei, da er keine Papiere bei sich trug. Er habe ihn am Morgen entdeckt, auf dem Rücken liegend, den Kopf am Friedhofstor, blutig aber nicht sehr, und in voller Leichenstarre. Er habe die Leiche zusammen mit einem >Selbstsiedler< gefunden, den er zuvor getroffen habe, einem Mann namens Seva, ungefähr vierzig Jahre alt, dem an der linken Hand der kleine Finger fehle. Arkadi machte sich Notizen für den Fall, dass die Woropais später den wilden Mann markieren sollten. An den Notizen konnten sie ihre Wut auslassen. Doch in Katamais Gegenwart waren sie wie Hunde, die aufs Wort gehorchten, und offensichtlich hatte er ihnen befohlen, friedlich zu bleiben.
»Nur ein paar Fragen. Was hatte der Tote an?«
»Er war reich. Teure Klamotten.«
»Elegante Schuhe?«
»Sehr elegante Schuhe.«
»Gepflegt?«
»Sehr gepflegt.«
»Nicht schmutzig?«
»Nein.«
»Sein Hemd war feucht. War es sauber oder schmutzig?«
»Nur etwas Laub, glaube ich.«
»Dann ist er also umgedreht worden?«
»Wie meinen Sie das?«
»Ein Mann, der tot umfällt, wälzt sich nicht mehr am Boden herum.«
»Vielleicht war er noch gar nicht tot.«
»Wahrscheinlicher ist, dass ihn jemand umgedreht und um sein Geld erleichtert hat. Die Papiere hat der Betreffende später weggeworfen. Haben Sie sonst noch etwas bei der Leiche gefunden? Eine Wegbeschreibung, Streichhölzer, Schlüssel?«
»Nichts.«
»Keine Autoschlüssel? Hatte er sie im Wagen gelassen?«
»Ich weiß es nicht.«
»Ist Ihnen nicht aufgefallen, dass er eine durchtrennte Kehle hatte?«
»Die Wunde befand sich unter dem Kragen, und er war nicht sehr blutverschmiert. Außerdem hatten sich Wölfe an ihm zu schaffen gemacht.«
»Haben sie ihn bewegt? Oder gebissen?«
»Nein. Sie haben nur an seiner Nase und seinem Gesicht gezerrt, um an das eine Auge heranzukommen.«
Reizende Vorstellung, dachte Arkadi. »Ist das normal, dass Wölfe auf Augen aus sind?«
»Sie fressen alles.«
»Haben Sie ihre Spuren gesehen?«
»Riesige.«
»Haben Sie ein Auto gesehen oder Reifenspuren?«
»Nein.«
»Wo waren die Leute aus dem Dorf, die Panasenkos und ihre Nachbarn?«
»Keine Ahnung.«
»Die Leute in den schwarzen Dörfern haben kaum Abwechslung. Besucher machen sie ziemlich neugierig.«
»Kann ich nicht beurteilen.«
»Aus welchem Grund waren Sie an jenem Tag dort?«
»Das reicht«, warf Dymtrus ein. »Der hat ja tausend Fragen.«
»Ist schon in Ordnung, Dymtrus«, sagte Katamai. »Auf Befehl des Hauptmanns haben wir unter den Dorfbewohnern in der Sperrzone eine Zählung durchgeführt und Wertsachen registriert.«
»Wie Ikonen?«
»Ja.«
»Möchten Sie eine kurze Pause einlegen und etwas trinken?«
»Ja.« Katamai nippte an seinem französischen Wasser und lachte in sein Taschentuch. Für den Fall, dass er Blut spuckte, dachte Arkadi. »Ich komme noch immer nicht über die Sache mit Wayne Gretzky hinweg. Kennen Sie Gretzky wirklich?«
»Nein«, flüsterte Arkadi, »so wenig, wie Sie einen Siedler namens Seva kennen, dem ein kleiner Finger fehlt.«
»Woran haben Sie’s gemerkt?«
»An dem ungewöhnlichen Detail. Lügen müssen simpel sein.«
»Ach ja?«
»Ich bin jedenfalls immer gut damit gefahren. Zeigen Sie mir mal Ihre Hände.«
Die Woropais traten nervös von einem Fuß auf den anderen, doch Katamai streckte ihm die Hände hin, mit den Innenflächen nach oben. Arkadi drehte sie um und sah sich die Fingernägel an. Sie waren lila verfärbt. Mit einer Handbewegung forderte er Katamai auf, sich vorzubeugen, dann hob er die Laterne und betrachtete die blutenden Kapillargefäße, die sich im Weißen von Katamais Augen rankten.
»Sagen Sie mir die Wahrheit«, bat Katamai. »Bin ich im Arsch?«
»Cäsium?«
»Total am Arsch.«
»Kann man etwas dagegen tun?«
»Man kann Preußischblau schlucken, das fängt Cäsium auf seinem Weg durch
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