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Treue Genossen

Treue Genossen

Titel: Treue Genossen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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Sie mir.«
    Leichter gesagt als getan. Die Woropais trugen Nachtsichtbrillen und fuhren auf Inlinern, die über den Beton klapperten und durchs Gras fegten. Zu Fuß wirkten sie schwerfällig, doch auf Rädern liefen sie elegante Bogen. Arkadi musste kräftig ausschreiten, um ihnen folgen zu können. Er gelangte auf einen Fußpfad und dann in einen Garten, der früher einmal gepflegt gewesen sein mochte, jetzt aber ein Labyrinth aus tief hängenden Ästen bildete. Nichts konnte die Woropais aufhalten. Sie patschten durch Wasserlachen und bahnten sich mit den Schultern einen Weg durchs Gestrüpp zu einem zweistöckigen Säulenbau, dessen Fassade mit Orgelpfeifen und Atommodellen bemalt war: Pripjats einstiges Stadttheater. Taras, der jüngere Bruder, stieß die Eingangstür auf und rollte mit einem Jauchzer ins Foyer. Dymtrus folgte ihm unter Zuhilfenahme der Ellbogen und riss die Arme hoch, als hätte er ein Tor erzielt.
    Als Arkadi eintrat, waren die beiden verschwunden. Er hörte sie in einiger Entfernung, doch im Dunkeln war schwer auszumachen, welche Richtung sie eingeschlagen hatten, und im Foyer abgestellte Bühnenkulissen erschwerten das Fortkommen zusätzlich. Welche Dramen waren hier zurückgelassen worden, um bis in alle Ewigkeit zu ruhen? »Onkel Wanja, darf ich dir Anna Karenina vorstellen?« Bestimmt hatte es auch Kindervorstellungen gegeben. »Herr Mäusekönig, darf ich Sie mit Raskolnikow bekannt machen?«
    Donnernde Klavierakkorde drangen aus dem Innern des Theaters, und Arkadi schob sich an den Kulissen und klappernden Garderobenständern vorbei in einen Korridor, in dem man die Hand vor Augen nicht sah. Mit seinem Feuerzeug leuchtete er sich an einer mit ordinären Sprüchen und obszönen Zeichnungen beschmierten Wand entlang. Er war schon einmal in dem Theater gewesen, allerdings bei Tag. Im Dunkeln warnte nichts vor den Glasscherben, auf denen man ausrutschte, oder den herausgerissenen Kabeln, die einem ins Gesicht schlugen.
    Tastend gelangte er zu einem zugezogenen Vorhang und Schnüren und trat in den Schein einer Petroleumlampe. Auf der Bühne stand ein Klavier, an dem einige Tasten beschädigt waren oder fehlten. Taras Woropai spielte darauf und sang: »You can’t always get what you want, but you get what you need!« Und Dymtrus, der die Nachtsichtbrille abgenommen hatte, tanzte dazu ausgelassen auf seinen Inlinern von einer Seite der Bühne zur andern.
    Zwischen den roten Sitzreihen im Zuschauerraum lagen zerbrochene Stühle und Tische, Flaschen und Matratzen wie Plunder, den man eine Treppe hinuntergeworfen hatte, und Dymtrus’ Schatten strampelte über die Wände. Eine Couch war hinter das Klavier gerückt worden, und darauf lag, mit Kissen abgestützt und mit Schultertüchern zugedeckt, Karel Katamai. Arkadi erkannte den Glatzkopf, den er auf den Fotos in der Wohnung des Großvaters gesehen hatte, kaum wieder. Karel Katamai hatte jetzt langes, mit Perlen verziertes Haar, das ein kreidebleiches Gesicht mit geröteten Augen umrahmte. Und er versank förmlich in einem Eishockeytrikot der Detroit Red Wings. Kleine Stiefmütterchen standen nachdenklich in Wassergläsern rings um die Couch, und eine Literflasche Evian klemmte zwischen seinen Beinen. Arkadi wusste nicht, was er erwartet hatte, jedenfalls nicht das. Er hatte Beschreibungen des Hofs von Königin Elisabeth gelesen. Und genau daran erinnerte ihn Karel Katamai, an eine gepuderte jungfräuliche Königin mit zwei einfältigen Höflingen. Sein Kopf war auf ein Satinkissen gebettet, in dessen Ecke Je ne regrette rien - »Ich bereue nichts« - gestickt war. Als Karel amüsiert über Dymtrus lächelte, der wie ein Derwisch wirbelte, entblößte er ein breiiges Zahnfleisch.
    »>Get what you need! Need! Need!<«
    Taras brach über den Tasten zusammen, sein großer Bruder taumelte benommen über die Bühne, und Katamai deutete die Geste des Klatschens mehr an, als dass er tatsächlich applaudierte.
    Dymtrus fand sein Gleichgewicht wieder und deutete in Arkadis Richtung. »Wir haben ihn mitgebracht.«
    »Einen Stuhl.« Katamais Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, doch Dymtrus sprang sofort von der Bühne, holte einen Stuhl aus dem Zuschauerraum und stellte ihn vor die Couch, damit Arkadi und Karel Katamai auf gleicher Augenhöhe waren. Aus der Nähe sah Katamai so aus, als hätte ihn ein Kind mit Kreide bemalt.
    »Sie sehen nicht sehr gut aus«, sagte Arkadi.
    »Ich bin im Arsch.«
    Katamais Nase lief. Mit einer lässigen, beinahe

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