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Treue Genossen

Treue Genossen

Titel: Treue Genossen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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bezeichneten Säcken überquollen, ignorierte ein Schild, auf dem »Für Unbefugte kein Zutritt« stand, wie es jeder Russe überall tun würde, und fuhr an einem Stacheldrahtzaun entlang. Weitere Stacheldrahtzäune rechts und links führten ihn zu einem Schild mit der Aufschrift: »Kein Zutritt! Vor der Weiterfahrt bei der Wache melden! - Tragen Sie Ihr Dosimeter bei sich?« Arkadi fuhr weiter und gelangte auf eine Zufahrtsstraße, auf der Belas Van parkte, und zwar direkt vor einem geschlossenen Tor, das keine einfache Schranke war, sondern ein Rolltor aus Stahl. Auf einem Schild prangte in englischer Sprache »Stop«. Bela saß im Van. Bobby Hoffman und Jakow standen mitten auf der Straße, das Gesicht der Schutzmauer zugewandt, auf der sich funkelnder Stacheldraht wand. Beide trugen eine Jarmulke und einen Gebetsschal mit Schaufäden. Arkadi konnte nicht verstehen, was sie sprachen, doch sie wiegten sich im Rhythmus der Worte vor und zurück.
    Hinter der Mauer befand sich eine zweite mit Stacheldraht versehene Mauer, und fünfzig Meter weiter ragte der Sarkophag empor, fleckig und klotzig wie eine fensterlose Kathedrale oder ein Monolith, den man in der Wüste ausgegraben hatte. Hier und da glommen matte Sicherheitslampen. Ein Kran und ein Schornstein überragten den Sarkophag, nahmen sich im Vergleich zu ihm aber bedeutungslos aus.
    Verbunden mit dem Sarkophag war der ansehnlichere Reaktor zwei, der allerdings nicht zu erkennen war. Der Sarkophag stand für sich, und er lebte.
    Bela kletterte aus dem Van. »Näher sind wir nicht rangekommen.«
    Arkadi brauchte sein Dosimeter nicht einzuschalten. Er spürte ein Prickeln auf der Haut.
    »Es ist nah genug. Wieso sind Sie hier?«
    »Der Dicke hat darauf bestanden.«
    »Hat der Alte nicht versucht, es ihm auszureden?«
    »Jakow? Der hat anscheinend damit gerechnet. Sie haben nur gewartet, bis es dunkel wurde, sicherheitshalber. Sie scheinen viele Namen zu haben. Sie haben mir nicht gesagt, dass sie auf der Flucht sind.«
    »Spielt das eine Rolle?«
    »Es treibt den Preis in die Höhe.«
    Arkadi schaute sich um. »Wo sind die Wachleute?«
    Bela deutete auf zwei Beine, die aus dem Schatten am Tor hervorragten. »Das ist der Einzige. Ich habe ihm Wodka gegeben.«
    »Sie sind immer vorbereitet.«
    »So ist es.«
    Es war die Nachtschicht, dachte Arkadi. Keine Büroangestellten und keine Bauarbeiter. Eine Rumpfbesatzung konnte die drei abgeschalteten Reaktoren warten, und niemand drang in den Sarkophag ein. Im Stromnetz war das Kraftwerk Tschernobyl ein schwarzes Loch, ein Endlager für abgebrannte Brennelemente in einem bankrotten Land. Wie viele Wachen mochten hier sein?
    Das Gemurmel der beiden war nicht laut genug, als dass man es weit hätte hören können. Bobbys Stimme war nur ein Flüstern. Jakows tiefe Stimme klang erschöpft, und Arkadi erkannte, das sie das Kaddisch sprachen, das Gebet für die Toten. Ihre Stimmen überlagerten sich, trennten sich und fanden wieder zueinander.
    »Wann haben sie damit angefangen?«
    »Vor gut einer halben Stunde. Als ich Sie anrief.«
    »Und wo waren Sie den Tag über?«
    »Wir sind in den Wald gefahren. Ich habe eine Anhöhe gesucht, wo sie mit ihren Handys einen guten Empfang hatten. Der Dicke hat herumtelefoniert und alles arrangiert.«
    »Was arrangiert?«
    »Nur ein paar Kilometer nördlich von hier beginnt Weißrussland. Ihre beiden Freunde haben sich Visa besorgt und einen Wagen bestellt, der auf sie wartet. Jeder Zug war genau geplant.«
    »Wie bei einer Partie Schach.«
    »Genau wie beim Schach.«
    Nur dass es zu spät war, wenn sie es für Pascha taten, dachte Arkadi. Er wusste, dass er von Bobby und Jakow benutzt worden war, aber er verübelte es ihnen nicht. Die beiden waren fluchterprobt, was sollten sie sonst tun?
    »Aber sie haben Ihnen erlaubt, mich anzurufen?«
    »Jakow hat es selbst vorgeschlagen.«
    Eigentlich hätten sie längst auf dem Weg nach Minsk sein müssen, das für sie das Tor zur Welt bedeutete. Stattdessen standen sie vor dem löchrigen Betonsarg eines zerstörten Atomreaktors, wiegten sich wie zwei menschliche Metronome und sprachen immer wieder dieselben Verse: »Ose shalom bimromaw, hu ja’asse shalom.« Wenn das Gebet zu Ende war, fingen sie einfach wieder von vorne an. Arkadi hätte es eigentlich klar sein müssen. Hätte Bobby den weiten Weg gemacht, nur um seinen Fehler zu wiederholen? War es nicht logisch, hatte es nicht zwangsläufig so kommen müssen, ob Bobby sich dessen nun bewusst war

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