Treue Genossen
Feldbetten, einem Kleiderständer und einer Minibar. Obwohl man den Dolmetschern längst anständige Quartiere versprochen hatte, waren sie noch immer notdürftig untergebracht, weil die Überwachungsabteilung aufgrund der vielen Monitore, die sie zu beobachten hatte, ein Viertel des Stockwerks beanspruchte.
»Bei Alex hat sich das besser angehört«, meinte Arkadi.
»Weil Alex hier machen kann, was er will. Er ist schon eine ganze Weile hier. Er kennt jeden und geht überall ein und aus.«
»Zehn Dollar die Stunde?« Arkadi errechnete, dass das etwa das Fünffache von dem war, was er als Chefinspektor verdiente. »Dafür nimmt man einiges in Kauf. Hatten Sie an dem Tag, als Pascha Iwanow starb, eigentlich Dienst?«
»Nein.«
»Aber Alex, nicht wahr?«
»Ja. Mit wem, sagten Sie, spreche ich?«
Arkadi legte auf. Das Fußballspiel wurde interessant. Eine Minute vor Schluss drängte Chelsea, das einen Mann weniger auf dem Platz hatte, auf den Ausgleich und holte zum wiederholten Mal eine Ecke heraus. Der Torhüter postierte sich, an seinen Handschuhen zupfend, einen guten Meter vor der Torlinie. Campbell war aus dem Badezimmer gekommen und schaute zu. Rempeleien zwischen roten und weißen Trikots, als der Eckball hereinsegelte und in Richtung Tor drehte. Unter Einsatz ihrer Ellbogen schraubten sich Spieler in die Höhe und streckten sich ihm verzweifelt entgegen. Der Torhüter stürzte sich ins Getümmel und reckte die Fäuste. Überraschend leichtfüßig für einen Betrunkenen sprang der Professor zum Videorekorder und drückte die Stopptaste. Die Spieler erstarrten in der Luft.
»Ich kann’s nicht sehen. Nie wieder will ich das sehen. Das ist Folter mit Ansage, das Anlegen der Daumenschrauben, das unaufhaltsame Niedersausen des Beils. Von mir aus können sie bis in alle Ewigkeit in der Luft hängen. Wen interessiert das? Weißt du, was passiert? Weißt du’s?« Erschöpft sank Campbell auf sein Bett und verlor die Besinnung.
Nein, dachte Arkadi, er wusste es nicht. Mittlerweile konnte Bobby Hoffman auf halbem Weg nach Zypern oder Malta sein. Anton bedrohte entweder das Leben eines Menschen oder kaufte zusammen mit Galina farblich aufeinander abgestimmtes Gepäck. Und draußen war es mittlerweile so dunkel geworden, dass sogar Arkadi etwas unternehmen konnte.
Sein Handy klingelte. Er wollte gerade rangehen, als das Bild von ihr und Alex wieder vor ihm aufstieg. Wie sie von ihm an die Wand gedrückt wurde. Das Geräusch der Parfümfläschchen, die vom Tisch kullerten. Er erinnerte sich an ihre Augen, wie an den Blick einer ertrinkenden Frau, die den Strudel umarmt. Er konnte noch nicht mit ihr sprechen.
Ein weiterer Anruf. Von Bela. Arkadi nahm ihn entgegen, weil er gute Neuigkeiten gebrauchen konnte, doch Bela sagte: »Wir sind am Kraftwerk, am Sarkophag. Wir waren fast am Kontrollpunkt, da hat der Dicke plötzlich seine Meinung geändert.«
»Wieso sind Sie zum Kraftwerk gefahren? Wieso haben Sie das mitgemacht?«
Bela wurde kleinlaut. »Weil er mir viel Geld geboten hat.«
Die ersten Kilometer fuhr Arkadi auf Feldwegen durch schwarze Dörfer, um festzustellen, ob ihm jemand folgte, dann bog er mit dem Motorrad auf die Straße ein. Sie war gerade und frei. Oschogin konzentrierte sich vermutlich auf den südlichen Straßenabschnitt, der nach Kiew führte und nicht ins Zentrum der Zone. Der Kontrollpunkt vor dem Kraftwerk ließ sich nicht umfahren, doch Arkadi wurde durchgewinkt. Er war hier mittlerweile bekannt, ein exzentrischer Polizist, der häufig Pripjat besuchte. Normalerweise fuhr er am Kraftwerk vorbei. Diesmal bog er ab und schaltete seinen Scheinwerfer aus. Im Dunkeln sah er schemenhaft Kühltürme und Hochspannungsmasten, Bahngleise und Oberlichter. Die Hauptverwaltung des Kraftwerks war ein riesiger Glaskasten, der ihn daran erinnerte, dass der Komplex ursprünglich für insgesamt acht Reaktoren gedacht gewesen war, die größte Anlage der Welt. Im Gebäude brannte kein Licht, nur eine Digitaluhr leuchtete über dem Haupteingang: 20.48 Uhr.
Ein Motorrad der Marke Uralmoto war nicht leise, und Arkadi rechnete jeden Augenblick damit, von einer Taschenlampe geblendet oder von einem Wachposten angerufen zu werden. Er sah Busse, aber keine Personenwagen oder Vans. Er fuhr über den Parkplatz in Richtung der Labors und kam dabei an so vielen Strahlenwarntafeln und Hinweisschildern vorbei, dass er beschloss, den Scheinwerfer wieder einzuschalten. Er wendete vor Containern, die von mit Giftmüll
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