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Treue Genossen

Treue Genossen

Titel: Treue Genossen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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Schuhbeutel und das Kabel eines Handy-Ladegeräts. Ob Iwanow ins Arbeitszimmer gegangen war und dort von einer katastrophalen Fehlinvestition erfahren hatte? In dem Fall stellte er sich einen weinerlichen Iwanow vor, der sich mit ein oder zwei Scotch Mut antrank, ehe er das Fenster öffnete. Der Iwanow, den er von den Videobändern in Erinnerung hatte, stieg widerstrebend aus dem Wagen, eilte ins Haus und plauderte mit einem Mieter über Hunde, fuhr dann mit grimmiger Entschlossenheit nach oben und warf einen Abschiedsblick in die Überwachungskamera, ehe er aus dem Fahrstuhl trat. Eilte er zu einer Verabredung? Wieso nur ein Schuhbeutel? Weil er ihn nicht für Schuhe benutzt hatte. Möglich, dass er ins Badezimmer gegangen war, aber er hatte keine tödliche Dosis Pillen geschluckt. Iwanow war ein Mann der Tat und keiner, der wartete, bis die Wirkung eines Beruhigungsmittels einsetzte. Er hatte Dr. Nowotny genug anvertraut, um sie zu beunruhigen, war dann aber zu den letzten vier Sitzungen nicht erschienen. Über seinen letzten Abend wusste Arkadi eigentlich nur, dass er seine Wohnung durch die Tür betreten und durchs Fenster wieder verlassen hatte und der Boden in seinem Wandschrank mit Salz bedeckt war. Und dass sein Magen Salz enthielt. Er hatte Salz geschluckt.
    Das Telefon im Schlafzimmer klingelte. Oberst Oschogin war dran.
    »Renko, ich bin gleich da. Ich möchte, dass Sie Iwanows Wohnung unverzüglich verlassen und in die Halle kommen. Warten Sie dort auf mich.«
    »Wieso? Ich arbeite nicht für Sie.«
    »Surin hat Sie entlassen.«
    »Ach ja?«
    »Renko, ich …« Arkadi legte auf.
    Iwanow war ins Schlafzimmer gegangen, hatte seinen Aktenkoffer aufs Bett gelegt und das Handy daneben auf die Bettkante. Er hatte den Koffer geöffnet und sich so mit seinem Inhalt beschäftigt, dass er nicht bemerkte, wie sein Handy auf den Teppich fiel und er es mit dem Fuß unters Bett stieß, wo Viktor es später fand. Was hatte Iwanow aus dem Schuhbeutel gezogen: einen Ziegelstein, eine Pistole, einen Goldbarren? Arkadi rekonstruierte jeden Schritt und versuchte, einer unsichtbaren Spur zu folgen. Pascha hatte den begehbaren Wandschrank geöffnet und das Salz auf dem Boden gesehen. Wusste er von einer drohenden weltweiten Salzverknappung? Er war nach Hause geeilt, hatte Salz geschluckt, und alles, was er beim tödlichen Sturz aus dem zehnten Stock mitnahm, war ein Salzstreuer. Arkadi stülpte den Schuhbeutel um. Kein Salz.
    Befand sich der Gegenstand aus dem Beutel noch in der Wohnung? Iwanow hatte ihn nicht mitgenommen. Soweit Arkadi sich erinnerte, vermuteten alle einen geschäftlichen Hintergrund, doch ein Schuhbeutel hatte die falsche Größe und Form für eine Computerdiskette oder eine Tabellenkalkulation.
    Erneut klingelte das Telefon.
    »Renko«, sagte Oschogin, »legen Sie nicht .«
    Arkadi drückte auf die Gabel und legte den Hörer daneben. Oschogins Problem war, dass er nirgendwo den Hebel ansetzen konnte. Wäre Arkadi ein Mann mit viel versprechender Karriere gewesen, hätten Drohungen vielleicht verfangen. Da er seinen Posten bei der Staatsanwaltschaft aber schon so gut wie los war, fühlte er sich frei.
    Noch mal von vorn. Manchmal überlegte man zu viel. Arkadi kehrte zum Bett zurück, tat so, als klappe er den Aktenkoffer auf, zog etwas aus dem Schuhbeutel, ging zum Wandschrank und öffnete ihn. Das Licht aus dem Schrank warf einen milchigen Schein auf das Salz, das noch immer den Boden bedeckte. Oben auf dem Haufen waren dieselben Spuren von Aktivität zu erkennen, die Arkadi beim letzten Mal entdeckt hatte: Hier war etwas Salz gelöffelt worden, dort hatte etwas gelegen. Arkadi fand die Bestätigung in Form eines braunen Blutflecks, der offenbar ins Salz gesickert war, als Iwanow sich darüber beugte. Iwanow hatte den Gegenstand aus dem Schuhbeutel gezogen, auf das Salz gestellt und dann . Was dann? Der kleinere Abdruck konnte gut von dem Salzstreuer stammen. Arkadi öffnete eine Schublade, in der langärmlige, mit Monogramm bestickte Hemden in verschiedenen Pastellfarben lagen. Er sah sie durch, entdeckte aber nichts, schob die Schublade zu und hörte etwas rutschen.
    Er zog die Schublade wieder auf und fand ganz hinten, unter den Hemden, ein blutiges Taschentuch und, darin eingewickelt, ein Strahlendosimeter von der Größe eines Taschenrechners. Salzkörner steckten in den Fugen des roten Kunststoffgehäuses. Arkadi fasste das Dosimeter an den Ecken, um eventuell vorhandene Fingerabdrücke nicht zu

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