Treue Genossen
überprüft haben. Erklären Sie ihm, warum Sie die Panne nicht gemeldet haben.«
Leise wimmernd hielt der Aufzug im zehnten Stock. Der Fahrstuhlführer wand sich verlegen. »In Sowjetzeiten gab es noch Wachen auf jeder Etage. Jetzt haben wir Kameras. Das ist nicht das Gleiche.«
»Haben Sie Iwanows Wohnung kontrolliert?«
»Ich kannte den Code nicht.«
»Und Sie wollten den Sicherheitsdienst von NoviRus nicht anrufen und sagen, weshalb Sie ihn brauchten?«
»Wir haben das übrige Gebäude durchkämmt. Ich weiß nicht, wieso der Mann an der Rezeption in Sorge war. Vielleicht hatte er einen Schatten gesehen oder so. Ich habe zu ihm gesagt: Wenn dir was entgangen ist, hat es bestimmt der Typ gesehen, der bei NoviRus vor den Monitoren sitzt. Also, meiner Ansicht nach ist nichts passiert. Es gab keine Panne.«
»Na schön, aber jetzt kennen Sie den Code. Wenn Sie mich reingelassen haben, können Sie tun, was Sie wollen.«
Die Aufzugtür glitt zur Seite, und Arkadi betrat zum dritten Mal Iwanows Wohnung. Kaum hatte sich die Tür wieder geschlossen, drückte er den Aussperrknopf in der Diele. Jetzt konnte der Fahrstuhlführer anrufen, wen er wollte, denn die Wohnung war, wie Surin es ausgedrückt hatte, hermetisch von der Außenwelt abgeriegelt.
Mit ihren weißen Wänden und Marmorfußböden kam ihm die Wohnung wie eine schöne Muschelschale vor. Arkadi zog die Schuhe aus, um in der Diele keine Schmutzspuren zu hinterlassen. Er ging von Zimmer zu Zimmer und machte überall Licht. Andere Besucher waren ihm zuvorgekommen. Jemand hatte die Spuren von Hoffmans Nachtwache auf dem Sofa beseitigt, den Cognacschwenker gespült, die Kissen aufgeschüttelt. Die Fotos, die Pascha Iwanow mit den Berühmten und Mächtigen zeigten, schmückten noch die Wohnzimmerwand, waren jetzt aber von einer traurigen Belanglosigkeit. Die einzigen Aufnahmen, die fehlten, waren die von Rina und ihm, die auf dem Nachttisch im Schlafzimmer gestanden hatten. Und zweifellos hatte auch Oschogin der Wohnung einen Besuch abgestattet, denn aus dem Arbeitszimmer war alles entfernt worden, was Daten über NoviRus enthalten konnte, ob verschlüsselt oder nicht:
Computer, ZIP-Drive, Bücher, CD-ROMs, Akten, Telefon und Anrufbeantworter. Alle Videobänder und DVDs aus dem Vorführraum fehlten. Die Hausapotheke war leer. Arkadi bewunderte die professionelle Gründlichkeit.
Er wusste nicht genau, wonach er suchte, aber dies war die letzte Chance, sich überhaupt umzusehen. Er dachte an das isländische Märchen von dem Kobold, der lediglich aus Kopf und Fuß bestand und nur aus dem Augenwinkel gesehen werden konnte. Wenn man ihn direkt anschaute, verschwand er. Da alles Augenfällige entfernt worden war, konnte Arkadi nur darauf hoffen, einen indirekten Hinweis zu entdecken. Oder den Schatten von etwas, das nicht mehr existierte.
Natürlich sollte die Wohnung eines Neurussen frei sein von Schatten. Keine Vergangenheit, keine Fragen, keine peinlichen Ungereimtheiten, nur eine klare Ausrichtung auf die Zukunft. Arkadi öffnete das Fenster, aus dem Iwanow gefallen war. Die Vorhänge flatterten im Wind. Die kühle Luft brachte seine Augen zum Tränen.
Oberst Oschogin hatte alles, was mit der Firma zu tun hatte, mitgenommen. Doch was Arkadi über Pascha Iwanows letzte Nacht unter den Lebenden wusste, hatte mit der Firma nichts zu tun. NoviRus stand wohl kaum vor dem Zusammenbruch. Das mochte sich bald ändern, wenn Timofejew das Ruder übernahm, doch bis zu Iwanows letztem Atemzug war NoviRus ein florierendes, expandierendes Unternehmen gewesen, das in ungebremstem Tempo andere Firmen schluckte und sich gegen mächtige Konkurrenten ebenso erfolgreich zur Wehr setzte wie gegen Übernahmeversuche. Vielleicht war ein Ninja wie eine Spinne vom Dach herabgeklettert, oder Anton hatte sich im Butyrka-Gefängnis zwischen den Gitterstäben hindurchgequetscht. In beiden Fällen wäre es professioneller Mord, und für Arkadi bestünde bei nüchterner Betrachtung wenig Hoffnung, ihn aufzuklären. Doch irgendwie hatte er das Gefühl, dass Pascha Iwanow vor etwas Persönlicherem davongelaufen war. Er hatte praktisch niemanden in die Wohnung gelassen, selbst Rina nicht. Arkadi dachte daran, wie Iwanow die Wohnung betreten hatte, in der einen Hand ein Taschentuch, in der anderen den Aktenkoffer. Der Koffer hatte leicht gewirkt, als sei er nicht mit Finanzberichten voll gestopft gewesen. Was hatte er noch enthalten, als er ihn auf dem Bett entdeckte? Einen einzelnen
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