Treue Genossen
Prostituierte durchschlug. Das Dilemma der Ermittler bestand darin, dass sie nicht wussten, ob der Schutz eines so mächtigen Wohltäters über den Tod hinaus wirkte. Auf Anraten der Anwälte, die ihr Kusmitsch und Maximow besorgt hatten, verweigerte Rina ein zweites Gespräch mit den Ermittlern. Ob man sie nach ihrem ukrainischen Vornamen hatte fragen wollen?
Nun, Millionen Russen hatten einen ukrainischen Vornamen. Arkadi konnte sich nicht vorstellen, dass sie durch Iwanows Wohnung gegangen war und Salz und Cäsium verstreut hatte. Die Rina, die er in der Wohnung erlebt hatte, war zu nichts anderem imstande gewesen, als sich immer wieder ein Video von Pascha anzusehen.
An Robert Aaron Hoffman ließen die Ermittler kein gutes Haar. Alter: 37. Nationalität: Amerikaner und Israeli. Beruf: Unternehmensberater. Das Foto aus dem Visum zeigte einen Hoffman mit auffallend kleinen Augen und Hamsterbacken. Nach dem Bericht hatte er eine CD-ROM aus Iwanows Wohnung gestohlen. Die CD-ROM sei später zwar wieder aufgefunden worden, doch es bestehe der begründete Verdacht, dass Hoffman die Daten darauf manipuliert habe, um im Computernetzwerk der Firma NoviRus schweren Schaden anzurichten. Überdies sei nicht auszuschließen, dass Hoffman weitere Gegenstände aus der Wohnung entwendet habe. Doch soweit Arkadi wusste, hatte er nur die ihm geschenkte Wildlederjacke mitgenommen. Und er erinnerte sich, dass Hoffman die ganze Nacht in der Wohnung verbracht und getrunken hatte. Würde sich ein Mann, der giftiges Cäsium verstreut hatte, dort überhaupt aufhalten?
Andererseits war Hoffman im Juni vergangenen Jahres mit Iwanows Firmenjet von Moskau zum Kiewer Flughafen Borispil und von dort mit dem Hubschrauber weiter nach Tschernobyl geflogen, wo er sich nach Meinung der Ermittler »mit anderen Juden traf und möglicherweise Diamanten übergab«. Noch am selben Abend war er nach Moskau zurückgekehrt. Manchmal vermied es Arkadi, das Thema Juden anzuschneiden, denn sowie er es tat, begannen Menschen, die eben noch einen durchaus netten und vernünftigen Eindruck gemacht hatten, von jüdischen Verschwörungen zu faseln. Arkadi fand Antisemitismus deprimierend - ein endemisches Übel wie Krätze oder Läuse. Hauptmann Martschenko hatte in einem Punkt allerdings Recht gehabt: Nach Auskunft der Ermittler kamen tatsächlich hin und wieder Juden nach Tschernobyl und statteten dem dortigen jüdischen Friedhof einen eintägigen Besuch ab. Und Bobby Hoffman, den Arkadi nicht als gläubigen Menschen einschätzte, war einmal dabei gewesen.
Mit wem hatten sich die Ermittler noch beschäftigt?
Der Muskelmann Anton Obodowski war eine Enttäuschung. Er mochte Iwanow bedroht haben, doch am Abend von Paschas Fenstersturz hatte er im Butyrka-Gefängnis gesessen, und zum Zeitpunkt von Timofejews Verschwinden war er in Moskauer Spielkasinos gesehen worden.
Der Fahrstuhlführer in Paschas Hochhaus, der KremlVeteran, hatte zwar Zugang zum zehnten Stock gehabt, aber nicht zu Iwanows beiden früheren Domizilen oder zu Timofejews Palais. Bei einer gründlichen Durchsuchung seiner Wohnung und seines Kleiderschranks hatte man keine Spuren von radioaktiven Substanzen gefunden.
Timofejews Hausangestellte befanden sich in ärztlicher Behandlung, weil sie radioaktiven Substanzen ausgesetzt gewesen waren. Mit brauchbaren Hinweisen konnten sie nicht dienen, und ihr Haarausfall war allem Anschein nach echt.
Mit jedem Tag schwand das Interesse in Moskau. Schließlich hatte Iwanow Selbstmord begangen, ob er nun von den Strahlen halb verrückt gewesen war oder nicht. Timofejew wiederum war zwar ermordet worden, aber nicht in Moskau, ja nicht einmal in Russland. Kurzum, eine Untersuchung des Mordes oblag den ukrainischen Behörden, und Russlands Amtshilfe beschränkte sich auf die Abstellung eines einzigen Ermittlers. Man konnte also mit Fug und Recht behaupten, dass es in Wirklichkeit keine Untersuchung mehr gab. Manchmal fühlte sich Arkadi wie ein Mann, der unter Wasser durch ein Schilfrohr atmete, und das Schilfrohr war sein Handy. Eine Zeit lang ging Viktor in Moskau noch Hinweisen nach. So suchte er Labors auf, die Cäsiumchlorid herstellten. Zwar gab es für eine so giftige Substanz keine kommerzielle Nutzung, doch in der Forschung fand sie durchaus Verwendung. Viktor machte Labors und Forscher ausfindig, bis Surin ihm untersagte, weitere Anrufe von Arkadi entgegenzunehmen. Seitdem war Arkadi auf sich allein gestellt. Die NoviRus-Aktie sackte in den Keller,
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